Bericht 52, Mai/Juni 2009

Ménétréol-sous-Sancerre – Moret-sur-Loing – Paris

(Canal latéral à la Loire, Canal de Briare, Canal du Loing, Seine; 237 km, 60 Schleusen)

Fahrtroute Ménétréol-sous-Sancerre bis Paris

Fahrtroute Ménétréol-sous-Sancerre bis Paris

Sie erinnern sich: Wir haben zu Beginn unseres letzten Berichtes ein bestimmtes Teilstück des Canal de Roanne à Digoin fotografiert und dazu geschrieben: «Das linke Ufer ist über eine lange Strecke völlig unterspült und wie lange der Deich hält, ist offen» (siehe Bericht 51). Unser mittlerweile ziemlich geschulter Blick hat uns – leider! – nicht getäuscht. Am Abend des 28. Mai brach an der von uns als schwach beurteilten Stelle der Damm und das ganze 16 km lange Teilstück zwischen den Schleusen Bourg-le-Comte und Chassenard lief leer. Die Reparatur an dieser schlecht zugänglichen Stelle wird Wochen, wenn nicht Monate dauern. Wenn es Sie interessiert, wie ein trockener Kanal aussieht:
http://portofroanne.multiply.com/photos/album/21/CANAL_BREACH_2009

Der Kanal ist, strassenverkehrsmässig gesprochen, eine Sackgasse. Die in Roanne zurück gebliebenen Schiffe sind eingeschlossen und ihre Fahrsaison ist möglicherweise zu Ende, bevor sie begonnen hat. Insbesondere für die Eigner der «Vlinder» (wir begegneten dem Schiff auf dem Loireseitenkanal und fotografierten es, (siehe Bericht 51), die nur schnell einen Besuch in Roanne machen und dann nach Belgien zurück fahren wollten, eine Tragödie. Dies ist das zweite Mal innerhalb von zwei Jahren, dass dieser Kanal wegen mangelnden Unterhalts mitten in der Saison für längere Zeit geschlossen werden musste. Nicht nur der materielle Schaden am Kanal ist beträchtlich, sondern auch der Reputationsschaden für Roanne als Hafenstadt.

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Wenden wir uns einem in allen Teilen erfreulichen Thema zu. Wir haben im Winter in einem Anfall von Übermut den elfjährigen Bennet und die dreizehnjährige Lena, Kinder lieber Freunde von uns, eingeladen, Ferien bei uns auf dem Schiff zu verbringen. Ihre Eltern bringen sie in Ménétréol-sous-Sancerre an Bord. Der Dritte im Bunde dieser Rasselbande, der viereinhalbjährige Henry, ist zwar noch zu jung für die christliche Seefahrt (resp. Kanalschifffahrt), darf aber immerhin zusammen mit seiner Mutter bei uns übernachten und am nächsten Tag bis zur ersten Schleuse mitfahren.

Henry versucht sich als Steuermann

Henry versucht sich als Steuermann

Henry ist völlig fasziniert vom Gehörschutz, den Christian bei seinen Kontrollgängen im Maschinenraum trägt. Ab sofort gehört für Henry der Gehörschutz zum Schifffahren – zwingend!

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Für Lena und Bennet haben wir einige verbindliche Regeln festgelegt: Während der Fahrt tragen sie Schwimmwesten; wenn sie sich an Deck bewegen, rennen sie nicht und halten sich mit einer Hand immer am Handlauf fest; bei Schleusen- und Anlegemanövern springen sie erst von Bord, wenn es der Kapitän erlaubt.

Unsere Ferienkinder Lena und Bennett

Unsere Ferienkinder Lena und Bennett

Das ist weder übertrieben noch pingelig. Wir wollen einfach unsere Ferienkinder eine Woche später, randvoll mit Eindrücken und Erlebnissen, aber gesund und unbeschadet ihren Eltern wieder übergeben können. Immer wieder lesen wir auf den einschlägigen Internetseiten von schweren Verletzungen und tödlichen Unfällen auf Berufsschiffen, weil in der täglichen Routine einfachste Vorsichtsmassregeln nicht beachtet werden. Wir selbst wundern uns immer wieder über die Leichtfertigkeit von Hausbootsmietern, deren Kindern selbst in Schleusen ohne Schwimmwesten herumturnen und herumspringen. Verständig und wohl erzogen (aber durchaus nicht langweilig!), wie Lena und Bennet sind, halten sie sich an diese Regeln und wir verbringen alle zusammen eine unbeschwerte und fröhliche Woche. Wenn Kinder, so wie Lena und Bennet es tun, von sich aus fragen: «Können wir etwas helfen?» sind sie selbstredend immer und jederzeit bei uns willkommen!

Lena und Bennet helfen einem Hotelschiffkapitän beim Anlegen

Lena und Bennet helfen einem Hotelschiffkapitän beim Anlegen

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Beaulieu-sur-Loire

Beaulieu-sur-Loire

Es ist Spargelzeit und wir sind hier, im Giennois, sozusagen im Epizentrum des Spargelanbaus. Spargeln kann man ab Hof kaufen und zwar recht günstig, 5 € das Kilogramm Spitzenqualität.

Auf dem Weg zum Spargelbauern

Auf dem Weg zum Spargelbauern

In L’Étang bei Beaulieu-sur-Loire kaufen wir bei der Wein- und Spargelbauernfamilie Guérot kiloweise Spargeln ein und in den folgenden Tagen gibt es Spargeln mit Rohschinken, Spargeln mit hausgemachter Mayonnaise, Spargeln gratiniert und Spargelsalat – bis uns die Spargeln buchstäblich aus den Ohren quellen.

Während der Spargelernte ist die ganze Familie im Einsatz

Während der Spargelernte ist die ganze Familie im Einsatz

Wie wir auf dem Hof Guérot aufkreuzen, ist von der Grossmutter bis zum Enkel die ganze Familie im Einsatz und die Tochter erklärt fröhlich: «Bei uns arbeitet jeder bis zum letzten Atemzug!»

...bis uns die Spargeln buchstäblich aus den Ohren quellen!

…bis uns die Spargeln buchstäblich aus den Ohren quellen!

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Wenn Sie zu den mittlerweile über zweitausend Schiffsbegeisterten gehören, die monatlich unsere Homepage lesen, dann wissen Sie, dass unser Bordspiel «Mexican Train» ist, ein Dominospiel mit insgesamt 91 Steinen.

Am Abend wird «Mexican Train» gespielt

Am Abend wird «Mexican Train» gespielt

Nicht nur spielten wir bis in alle Nacht hinein, nein, dank des schönen und warmen Wetters konnten wir sogar draussen spielen.

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Bei Briare verlassen wir das Loiretal und biegen in nordöstlicher Richtung auf den Canal de Briare ab, der uns mit sieben Schleusen bis auf den Scheitelpunkt bringt, den Étang de la Gazonne. Die Baugeschichte des Canal de Briare haben wir im Bericht Nr. 33 erzählt. Der Étang de la Gazonne ist für uns einer der schönsten «wilden» Liegeplätze in ganz Frankreich, soweit wir das beurteilen können. Fernab von der Zivilisation, weder Licht noch Lärm, nur ein paar hunderttausend Frösche und nachts die Milchstrasse. Ein Paradies für Ornithologen und Naturliebhaber. Strom und Wasser gibt es hier nicht, auch keine Poller zum Vertäuen des Schiffs, aber dafür sind wir schliesslich ausgerüstet.

Wildgänse und eine hübsche Ente am Étang de la Gazonne

Wildgänse und eine hübsche Ente am Étang de la Gazonne

Mit Milchstrasse ist es dieses Mal allerdings nichts, denn ein fürchterliches Gewitter geht über der Gegend nieder – aber auch das gehört zu «Natur pur»!

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Dies ist unser fünftes Jahr auf dem Wasser, und vieles ist zur Routine geworden. Und dennoch entdecken wir auf Kanälen, die wir – wie den Canal de Briare – schon mehrmals befahren haben, immer wieder Neues. So auf der Fahrt vom Étang de la Gazonne nach Montbouy. Einige Kilometer talwärts von Rogny-les-sept-Écluses entdecken wir nach der Schleuse «Moulin brûlé» eine uralte, überwachsene Treppe von vier Schleusen.

Eine Schleusentreppe aus der Zeit von Henri IV

Eine Schleusentreppe aus der Zeit von Henri IV

Sie stammt aus der Zeit, als der Kanal gegraben wurde, also ungefähr 1620. Anders als die schön restaurierte und auch viel besuchte Schleusentreppe von Rogny-les-sept-Écluses führt diese Schleusentreppe ein Dornröschendasein. Irgendwann wird sie ganz überwachsen und völlig vergessen sein.

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Seit Montargis fahren wir auf dem Canal du Loing und hier hat es wenigstens noch ein bisschen Frachtverkehr. Pénichen von 38.5 m Länge und einem Fassungsvermögen von (theoretisch) 350 Tonnen transportieren Weizen von Montargis nach Rouen. Theoretisch ist das Fassungsvermögen deshalb, weil die Pénichen wegen des Tiefgangs auf diesem Kanal, der längst wieder einmal ausgebaggert werden sollte, nicht voll beladen werden können. Bei der Péniche «Deborah», die wir auf ihrer Fahrt nach Rouen fotografieren und der wir zufällig auf ihrer Rückfahrt wieder begegnen, sieht man sehr schön den Unterschied zwischen «beladen» und «leer».

«Deborah» beladen mit 250 Tonnen Korn

«Deborah» beladen mit 250 Tonnen Korn

Das Fahrverhalten einer beladenen und einer leeren Péniche ist übrigens völlig anders und unterschiedlich sind deshalb auch die Kreuzungsmanöver. Eine beladene Péniche wird sich schon wegen ihres Tiefgangs möglichst in der Mitte des Kanals halten, sodass man sich die Kreuzungsstellen gut aussuchen muss. Bei der leeren Péniche hingegen muss man als kreuzendes Schiff berücksichtigen, dass der tote Winkel vom Steuerhaus aus sehr gross sein kann.

«Deborah» leer

«Deborah» leer

Besonders neckisch sieht es aus, wenn eine Péniche erst halb entladen ist!

Eine halb entladene Péniche

Eine halb entladene Péniche

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Wir haben weder ein Auto noch den üblichen Roller auf dem Schiff, sondern begnügen uns mit unseren Velos. Diese allerdings benützen wir zu ausgedehnten Velotouren. Im Laufe der Zeit sind es fünf Velos geworden, die wir an Bord mitführen.

Mit dem Mountainbike auf einem Treidelpfad unterwegs

Mit dem Mountainbike auf einem Treidelpfad unterwegs

Zwei Klapp-Fahrräder, die uns seit dem ersten Tag auf dem Schiff gute Dienste tun, zwei robuste Allzweck-Velos für längere Velotouren und schliesslich Christians geliebtes Rennvelo, das ihm Ugo De Rosa nach Mass gefertigt hat. Ein zweirädriger Ferrari sozusagen…

Christian mit seinem geliebten Rennvelo im französischen Strassenverkehr

Christian mit seinem geliebten Rennvelo im französischen Strassenverkehr

Entgegen allen Vorurteilen sind übrigens die französischen Automobilisten gegenüber Velofahrern im allgemeinen sehr rücksichtsvoll und überholen im Zweifelfall nicht.

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Anfangs Juni erreichen wir die Einmündung des Canal du Loing in die Seine. In Saint Mammès liegt dort, wo wir sonst anzulegen pflegen, ein Hotelschiff. Das soll uns nicht stören und mit dem Einverständnis des Hotelschiff-Kapitäns legen wir uns längsseits.

Längsseits an einem Hotelschiff auf der Seine

Längsseits an einem Hotelschiff auf der Seine

Wir bleiben ein paar Tage in Saint Mammès, bevor wir das letzte Teilstück unserer Reise nach Paris in Angriff nehmen. Nach so langer Zeit auf den Kanälen müssen wir uns wieder auf das Fahren auf einem Fluss umstellen. Man fährt mit der Hauptströmung, was bedeutet, dass Biegungen ausgefahren werden. Hier, auf der Seine, fahren und schleusen wir wieder zusammen mit der Berufsschifffahrt. Die Schleusenwärter sitzen unsichtbar in ihrem Kontrollturm, der Verkehr mit ihnen erfolgt per Funk.

Zusammen mit der Berufsschifffahrt auf der Seine

Zusammen mit der Berufsschifffahrt auf der Seine

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Und dann endlich ist es soweit: Planmässig erreichen wir am Nachmittag des 5. Juni Paris, machen auf der Seine, unmittelbar vor der Kathedrale Notre Dame – aufmerksam beobachtet von einem Boot der Wasserpolizei – ein Wendemanöver, melden uns über Funk bei der Capitainerie des Port de plaisance Paris Arsenal an und schleusen dann in den besagten Hafen hinauf.

Endlich in Paris!

Endlich in Paris!

Viele Freizeitkapitäne getrauen sich wegen der grossen Schleusen, des lebhaften Verkehrs auf der Seine und der sehr schnellen Passagierboote nicht nach Paris. Wir hatten auch den Bammel, als wir vor zwei Jahren das erste Mal auf der Seine durch Paris fuhren. Wenn man sich an zwei Regeln hält, die übrigens auch auf den grossen Flüssen in Holland gelten, ist das Unternehmen gefahrlos: Immer soweit Steuerbord als möglich fahren und nicht nur nach vorne, sondern auch nach hinten schauen!

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Die Seine fliesst in einem riesigen Bogen durch Paris. Diesen Bogen kann man mit einer Fahrt den Canal de Saint Martin hinauf, durch das Bassin de la Villette hindurch und dann den Canal Saint Denis hinunter abkürzen. Dieses Bassin de la Villette wurde 1809 eingeweiht und zur Zweihundertjahrfeier finden dort zahlreiche Events statt, den ganzen Sommer lang. Für das Wochenende vom 12. bis 14. Juni haben die Organisatoren die Dutch Barge Association (DBA) eingeladen, mit dreissig grossen Schiffen Flagge zu zeigen. Über dieses Ereignis werden wir als Miteingeladene – selbstverständlich mit vielen Fotos wunderschöner Schiffe – das nächste Mal berichten.

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Aus dem Logbuch

  • Beaulieu-sur-Loire. Langer Quai auf der Höhe des Campingplatzes. Wasser und Strom gratis. Duschen auf dem Campingplatz. Bescheidene Einkaufsmöglichkeiten im Dorf. Markt am Mittwochmorgen. Spargelanbau. Weinbaugebiet «Coteaux du Giennois».
  • Briare. Port de commerce direkt nach dem pont canal, port de plaisance im Dorf, Zufahrt über drei automatische Schleusen. Wasser und Strom. Kostenpflichtig. Alle Einkaufsmöglichkeiten. Bahnhof.
  • Ouzouer-sur-Trézée. Langer Quai mit Pollern. Wasser und Strom gratis. Beschränkte Einkaufsmöglichkeiten.
  • Étang de la Gazonne. Oberhalb der Schleuse «la Gazonne». Keine Poller. Picknick-Tische. Keine Fazilitäten. Gratis. Keine Einkaufsmöglichkeiten. Naturparadies.
  • Im Unterwasser der Schleuse 25 Lépinoy. Poller, Picknick-Tische. Idyllisch. Keine Fazilitäten, keine Einkaufsmöglichkeiten.
  • Montbouy. Langer Quai unterhalb Strassenbrücke. Wasser gratis, Strom mit Jetons (1 Jeton für € 2.50 reicht für vier Stunden). Bäckerei, Lebensmittelladen, Bar/Tabac/ Restaurant.
  • Montargis. Im Oberwasser der Schleuse «la Marolle» linkes Ufer Sportboothafen. Strom und Wasser. Kostenpflichtig. Meistens besetzt. Alle Einkaufsmöglichkeiten. Bahnhof.
  • Montargis. Nach der Schleuse «la Reinette» am rechten Ufer. Langer Quai mit Pollern beim Commissariat de Police . Keine Fazilitäten. Gratis. Sehr sicher.
  • Cepoy. Unterhalb der Schleuse «Cepoy» am linken Ufer. Schrägwand mit weit auseinander liegenden Pollern. Strom und Wasser gratis. Sehr ruhig. Alle Einkaufsmöglichkeiten.
  • Nemours. Oberhalb Schleuse Nr. 12 am linken Ufer. Am Quai Liegeplätze für ungefähr drei anständige Schiffe. Strom und Wasser. Kostenpflichtig, Jetons auf der Mairie beziehen. Alle Geschäfte.
  • Saint Mammès. Steg für Hotelschiffe (kann bei Nichtgebrauch benützt werden), Pontons. Strom und Wasser. Kostenpflichtig. Bäcker, Metzger, Markt am Sonntagmorgen.
  • Coudray. Im Oberwasser der grossen Seine-Schleuse von Coudray. Langer Quai. Entweder ganz vorne oder ganz hinten anlegen, da auch Frachtschiffe hier die Nacht verbringen. Keine Fazilitäten. Ruhig. Einkaufsmöglichkeiten unbekannt.
  • Paris. Port de Plaisance Paris Arsenal. Liegeplätze für Schiffe bis zu 25 m. Reservieren! Strom und Wasser, Duschen, Waschmaschinen und Tumbler. Kostenpflichtig (teuer, aber immer noch viel billiger als ein Hotelbett). Alle Einkaufsmöglichkeiten, ständig irgendwo irgendwelchen Märkte.

Ein Gedanke zu „Bericht 52, Mai/Juni 2009

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