Bericht 75, Juli 2011 – Teil 2

Erquelinnes – Mons – Antoing – Tournai

(Haute Sambre, Canal de Bruxelles à Charleroi, Canal du Centre, Canal Nimy-Blaton-Péronnes, Haut Escaut; 139 Kilometer; 17 Schleusen, eine Hebebrücke, ein Schiffslift)

Route Erquelinnes-Tournai (PC Navigo)

Route Erquelinnes-Tournai (PC Navigo)

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Wir haben am Ende des letzten Berichts davon gesprochen, dass wir uns wegen der Wassersituation in Ostfrankreich dafür entschieden haben, nicht auf der Petite Saône, sondern auf dem Canal du Nord via Paris der Loire entlang ins Winterquartier nach Roanne zu fahren. Mitte Juli laufen wir also aus dem Hafen von Erquelinnes aus und fahren die Sambre abwärts. Dabei begleiten uns Ruth und Peter Vögtlin – liebe Freunde, die schon mehrmals mitgefahren sind.

Ruth Vögtlin packt an

Ruth Vögtlin packt an

Die Sambre ist auch in umgekehrter Richtung idyllisch. Sie schlängelt sich durch ein waldreiches Tal, wird kaum befahren und in jeder kleinen Ortschaft gibt es Anlegemöglichkeiten.

In einer Sambreschleuse (Bild Ruth Vögtlin)

In einer Sambreschleuse (Bild Ruth Vögtlin)

Alle Schleusen sind von Hand bedient, die Schleusenwärter verständigen sich untereinander, sodass man keine Wartezeiten hat. Das hat auch den unschätzbaren Vorteil, dass man immer Zeit für einen Schwatz mit dem Schleusenwärter findet und so an die neusten Informationen kommt. «Radio Canal» nennt man das in der Schiffersprache, wozu auch die Informationen und der Klatsch gehören, den Schiffer untereinander austauschen.

Zeit für einen Schwatz mit dem Schleusenwärter (Bild Ruth Vögtlin)

Zeit für einen Schwatz mit dem Schleusenwärter (Bild Ruth Vögtlin)

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Auf der Fahrt von Erquelinnes nach Mons, die uns noch einmal Gelegenheit für eine Fahrt mit dem Schiffslift von Strépy-Thieu gibt, erlebt Christian alle Facetten eines Kapitänsalltags.

Fahren mit dem Joystick (Bild Ruth Vögtlin)

Fahren mit dem Joystick (Bild Ruth Vögtlin)

Auf der Sambre ist volle Konzentration gefragt, denn sie ist ziemlich eng und kurvig. Aber das geht dank der hydraulischen Steuerung per Joystick ganz locker und entspannt, Arbeit sieht definitiv anders aus. Das ändert sich schlagartig, wie wir in Charleroi hart über Backbord in den Canal de Bruxelles à Charleroi einbiegen.

Beim Verlassen der ersten Grossschleuse stellt Christian nämlich fest, dass das Bugstrahlruder blockiert ist. Zur Erklärung: Ein Bugstrahlruder besteht aus einem unter der Wasserlinie liegenden Tunnel im Bug des Schiffes. In der Mitte dieses Tunnels befindet sich eine quer liegende Schiffsschraube, die man über einen separaten Motor vor- und rückwärts laufen lassen kann.

Auf gehts in die Tauchferien... (Bild Charlotte Huber)

Auf gehts in die Tauchferien… (Bild Charlotte Huber)

Dadurch kann der Bug des Schiffes bei Manövern bewegt werden. Das funktioniert aber nur, wenn das Schiff nicht oder nur langsam fährt. Natürlich kann man auch ohne Bugstrahlruder manövrieren, natürlich hat lange nicht jedes grosse Schiff ein Bugstrahlruder und natürlich ist es Sache des Kapitäns, für die Behebung der Blockade zu sorgen. Entweder nach dem Motto «Selbst ist der Kapitän» oder indem er einen Taucher anfordert. Das wäre im Moment eine ernsthafte Option, denn die Aussentemperatur ist 14° Celsius, die Wassertemperatur 13.5° Celsius. Aber Christian war ja mal begeisterter Gerätetaucher mit über 500 Tauchgängen im Logbuch. Also auf geht’s!

Unterwasserarbeit (Bild Ruth Vögtlin)

Unterwasserarbeit (Bild Ruth Vögtlin)

Christian wird relativ schnell fündig: Ein grosses Stück Bauplastik von der ganz zähen Sorte hat sich im Bugstrahlruder verklemmt. Die Lösung ist ganz einfach(!): Immer wieder tauchen, bis die Luft ausgeht, mit einem scharfen Messer den Plastik in Stücke schneiden, Luft holen, weiter arbeiten.

Entfernen des Bauplastiks aus dem Bugstrahlruder (Bild Ruth Vögtlin)

Entfernen des Bauplastiks aus dem Bugstrahlruder (Bild Ruth Vögtlin)

Nach zwanzig Minuten harter Arbeit ist das Bugstrahlruder wieder frei und nach einer heissen Dusche ist Christian in der Lage, weiter zu fahren.

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Unser heutiges Ziel ist der Schiffslift von Strépy-Thieu. Wir haben vom Kontrollturm die Erlaubnis erhalten, hier für die Nacht anzulegen. Nach der Ankunft im Oberwasser des Schiffsliftes von Strépy-Thieu ist der tägliche Parkdienst im Maschinenraum angesagt: Reinigung des Kühlwasserfilters und visuelle Kontrolle aller Leitungen, Spannung der Keilriemen usw. Nach dem Tauchgang geradezu eine Erholung.

Der tägliche Parkdienst im Maschinenraum (Bild Ruth Vögtlin)

Der tägliche Parkdienst im Maschinenraum (Bild Ruth Vögtlin)

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Über den Schiffslift von Strépy-Thieu haben wir bereits ausführlich berichtet (Bericht Nr. 74), weshalb wir es hier bei einer Nachtaufnahme als Stimmungsbild bewenden lassen.

Strépy-Thieu bei Nacht (Bild Ruth Vögtlin)

Strépy-Thieu bei Nacht (Bild Ruth Vögtlin)

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In Mons endet der Canal du Centre und beginnt der Canal Nimy-Blaton-Péronnes. Das garstige Wetter veranlasst uns zu einem viertägigen Aufenthalt in Mons, der sich aber, wie sich herausstellt, durchaus lohnt. Mons entwickelte sich um ein von der Sainte Waudru, der Heiligen Waltraud im Jahre 650 gegründetes Kloster. An seiner Stelle wurde von 1450 bis 1621 eine mächtige Stiftskirche mit 29 Kapellen erbaut.

Die Stiftskirche der Heiligen Waltraud

Die Stiftskirche der Heiligen Waltraud

Bei einer Wanderung durch die steilen und pittoresken Gassen auf dem holprigen Kopfsteinpflaster, entlang herrschaftlichen Häusern aus dem 17. und 18. Jahrhundert begreift man schnell, warum die Stadt auf französisch Mons und auf flämisch Bergen heisst.

Die Grand-Place von Mons

Die Grand-Place von Mons

Hinter dem von Karl dem Kühnen erbauten Stadthaus umsäumen einige mittelalterliche Gebäude einen idyllischen Garten, eine wahre Oase der Ruhe.

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Le «Jardin du Mayeur»

Le «Jardin du Mayeur»

Unseren Liegeplatz haben wir etwas ausserhalb von Mons gefunden, in einem grossen Becken, genannt «Le Grand Large de Mons».

Im «Grand Large de Mons»

Im «Grand Large de Mons»

Eigentlich wären hier nur Schiffe bis 20 Meter Länge zugelassen. Aber die Hafenmeisterin hat ein Einsehen mit uns. Dies hat weniger mit unserem Charme zu tun als mit der Tatsache, dass der Hafenbetrieb angesichts der allgegenwärtigen Krise nicht mehr so gut läuft wie auch schon.

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In Péronnes, am Ende des Kanals Nimy-Blaton-Péronnes, müssen wir uns entscheiden: Entweder wir fahren in südlicher Richtung die Schelde aufwärts und dann auf dem Canal de St Quentin oder auf dem Canal du Nord Richtung Paris oder wir fahren die Schelde nordwärts ein Stück zu Tal, machen den Umweg nach Lille und fahren von dort aus südlich Richtung Paris. Die nördliche Variante ist schon deshalb reizvoll, weil sich von der Schelde aus der Canal de l’Espierres à Roubaix als Abkürzung anbietet – ein Kanal, der auf allen Karten und auch auf unserem Navigationscomputer als «für die Schifffahrt geschlossen» verzeichnet ist. Am DBA-Treffen in Namur haben wir aber erfahren, dass dieser Kanal wieder befahrbar gemacht worden sein soll. Wir wollen das (natürlich) wissen. Also Kurs Nord.

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Die Nordroute, um sie so zu nennen, hat – wie sich sogleich herausstellt – den grossen Vorteil, dass sie uns über Tournai in Westbelgien führt.

La Grand-Place de Tournai

La Grand-Place de Tournai

Wir geben freimütig zu, dass Wallonien, also der französisch sprechende Landesteil Belgiens, für uns bisher terra incognita war. Die bekannten Städte Flanderns – Brügge, Gent, Antwerpen – haben wir 2009 besucht (Berichte Nr. 55 und Nr. 56). Von Wallonien kannten wir bisher nur die Städte entlang der Maas, nämlich Huy, Lüttich und Namur.

Ein wallonisches Salattellerchen

Ein wallonisches Salattellerchen

Nicht zu übersehen ist, dass die Wallonen gerne gut und viel essen und trinken. Man sieht denn auch viele – zurückhaltend ausgedrückt – wohlgenährte Menschen und die Kleidergrösse XXXL ist nicht eben selten.

Aber zurück zu Tournai, eine der ältesten Städte Belgiens mit einer wegen ihrer fünf Türme bemerkenswerten Kathedrale. Die Schatzkammer der Kathedrale beherbergt, wie der Name sagt, einen Schatz von sakralem Schmuck und Reliquien bis zurück in merowingische Zeit.

Die fünftürmige Kathedrale von Tournai

Die fünftürmige Kathedrale von Tournai

Nicht minder stolz ragt das Wahrzeichen weltlicher Macht empor, der im 12. Jahrhundert erbaute 72 m hohe Belfried. Erklimmt man die 254 Stufen bis zur Aussichtsplattform, hat man nicht nur etwas gegen XXXL getan, sondern man geniesst eine atemberaubende Sicht auf Tournai und seine Umgebung. Im übrigen verfügt Tournai über mehrere Museen, welche jedem Geschmack etwas bieten. Allerdings sind sie von der Präsentation her eher auf der einfachen Seite. Überhaupt wirken viele der prachtvollen alten Herrschaftshäuser in den Gassen und Strassen von Tournai etwas vernachlässigt und gelegentlich rieselt der Putz. Aber dafür ist kein einziges Haus in der Altstadt versprayt oder sonstwie verschmiert. Wanderer, kommst Du nach Zürich…

Moderne Textilkunst: Gehäkeltes Schlangenskelett der Schweizerin Sandrine Pelletier

Moderne Textilkunst: Gehäkeltes Schlangenskelett der Schweizerin Sandrine Pelletier

Während unseres Besuchs in Tournai findet in verschiedenen Ausstellungsräumen die Triennale internationale des arts textiles contemporains, also die Triennale der zeitgenössischen Textilkunst statt. Verblüffend, was man alles mit Textilien machen kann!

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Erinnern Sie sich an den Natel-Engel von ‚s-Hertogenbosch aus Bericht Nr. 73? In Tournai haben wir eine neue Variante der Spezies Engel gefunden: Den Gasmaskenengel. Es gibt nichts, was es nicht gibt…

Der Gasmaskenengel

Der Gasmaskenengel

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Aus dem Logbuch

  • Erquelinnes. Hafenbecken, welches durch eine Einfahrt unter der Eisenbahnlinie (max. Höhe 4.20 m, Breite 5.20 m) von der Sambre aus angefahren wird. Strom und Wasser, Duschen, Waschmaschine und Tumbler in der Capitainerie. Kostenpflichtig. Wenig Passantenschiffe, hauptsächlich Daueraufenthalter. Die Zufahrt für Autos wird nachts abgeschlossen. Bahnhof mit Verbindung nach Charleroi ca.10 Fussminuten. Erquelinnes hat alle Einkaufsmöglichkeiten (Lidl, Aldi, Delhaize, Colruyt etc.), aber keine kulturellen Sehenswürdigkeiten. Sehr mittelmässiger Wochenmarkt am Freitag, besserer Wochenmarkt am Donnerstag im benachbarten frz. Jeumont. Das Brot kauft man auch besser beim Bäcker in Jeumont (mit dem Velo auf dem Treidelpfad nur 2.2 km).
  • Thuin. Quai am rechten Ufer vor der Strassenbrücke. Wasser und Elektrisch (16 Ampère). 4 € pro Nacht. Guter Bäcker, guter Metzger und kleiner Supermarkt in der Nähe. Wochenmarkt am Freitag. Sehenswürdigkeiten: Beffroi (Turm), Trammuseum, Schifffahrtsmuseum in alter Péniche, Distillerie von Biercée, Brauerei, Die hängenden Gärten, Druckereimuseum.
  • Strépy-Thieu. Langer Quai links und rechts im Oberwasser des Schiffsliftes. Auf Funkkanal 20 um Erlaubnis fragen, dort die Nacht zu verbringen. Keine Einrichtungen, keine Einkaufsmöglichkeiten, aber absolute Ruhe und fantastischer Ausblick auf das Becken von Mons.
  • Mons. Beinahe mediterran anmutender Jachthafen im Grand Large de Mons. Nur Schiffe bis 20 m Länge. Strom, Wasser, Duschen. Kostenpflichtig (15 € Liegegeld plus 3 € für Strom, 16 Ampère). Gratis WiFi. Ca. 3 km vom Stadtzentrum entfernt. 5 Velominuten zum Aldi mit Metzgerei. Mons ist Universitätsstadt und 2015 europäische Kulturhauptstadt. Zahlreiche Sehenswürdigkeiten, u.a. Stiftskirche der hl. Waltraud mit einer der schönsten Sammlungen von religiösen Goldschmiedearbeiten in Belgien. Unser Gastronomietipp: «La Table des Matières», Rue du Grand Trou Oudart, 16. Tel. 065 84 17 06. Mit 13 Punkten im Guide Michelin ausgezeichnete, aber bezahlbare italienische Küche auf hohem Niveau.
  • Péruwelz. Verlassen wirkender Jachthafen am Canal Nimy-Blaton-Péronnes. Wasser und Elektrisch, aber mit Vorhängeschlösschen gesichert. Man müsste den Hafenmeister anrufen, aber da wir autonom sind, haben wir zugunsten einer Gratis-Übernachtung darauf verzichtet. Einziger Vorteil von Péruwelz: Ein Colruyt-Supermarkt (Diese Kette hat mit Abstand die besten Metzgereien mit den günstigsten Preisen!) in 10 min Velodistanz auf der gleichen Uferseite wie der Hafen.
  • Antoing. Kleines Hafenbassin am linken Ufer, unterhalb des Bunkerschiffes der Neptunia. Man liegt hier gut geschützt vom Wellenschlag der Berufsfahrt. Keine Einrichtungen. Gratis. Aldi und Colruyt. Bäcker in der Nähe (Place Préau). Dort auch Haltestelle des Busses nach Tournai. Antoing selbst bietet nichts.
  • Tournai. Kleiner Halte fluvial am rechten Ufer, direkt vor dem Lichtsignal für die Durchfahrt von Tournai. Schwimmsteg mit Klampen (man macht mit einem richtigen Schiff besser an den Dalben fest). Strom (16 Ampère) und Wasser mit Münzeinwurf. Das Liegen ist gratis. Zahlreiche Museen (Museum der dekorativen Künste, Museum für Tapisserien und textile Kunst, Museum für Archäologie, Folkloremuseum, Königliches Museum für Waffen und Militärgeschichte, Museum für Naturgeschichte und Vivarium, Museum der Schönen Künste, Marionettenmuseum) und Sehenswürdigkeiten (Stadthaus, Lakenhalle, Kathedrale, Belfried). Wochenmarkt am Samstagmorgen auf dem Grand-Place (Kleider) und dem Place de Lille (Lebensmittel). Metzger, Carrefour, sehr guter Bäcker in der Nähe des Halte fluvial.

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