Bericht 122, Mai 2016

Auf der Werft in Harlingen – Teil 1

Schiffe über 20 Meter Länge benötigen ein EU-Zertifikat. Dieses wird ausgestellt, wenn das Schiff allen massgeblichen technischen Anforderungen entspricht. Bei Traditionsschiffen sind sehr beschränkt Ausnahmen möglich, wenn deswegen keine offenkundige Gefahr für die Besatzung und für Dritte besteht. Das EU-Zertifikat gilt in ganz Europa und hat eine Gültigkeitsdauer von jeweils sieben Jahren.

Am 100-Tonnen-Kran

Am 100-Tonnen-Kran

Kinette wurde letztmals im September 2009 zertifiziert. Unser geltendes Zertifikat läuft im September 2016 ab. Zeit also, sich rechtzeitig auf eine Erneuerung vorzubereiten. Dabei geht es im wesentlichen nur noch um die Messung der Dicke des Stahlrumpfes, da alle übrigen technischen Anforderungen (zwei Funkgeräte, AIS, blaue Tafel, Dieseltank-Niveaualarm, Notstopp für Motor, Generator und Ölheizung, zertifizierte Gasinstallation, zertifizierte Rettungswesten, Positionslichter etc. etc.) schon lange erfüllt sind.

Erste Inspektion durch Schiffsmaler Durk Bloemhof

Erste Inspektion durch Schiffsmaler Durk Bloemhof

Für die Messung der Rumpfstärke muss das Schiff aus dem Wasser. Obwohl wir das Unterwasserschiff erst vor drei Jahren mit Haftgrund und Antifouling hatten behandeln lassen, sah dieser Belag ziemlich heruntergekommen aus. Auf Empfehlung von Martin und Thesi Eberhard (M.S. VERANDEREN) vereinbarten wir einen Termin bei der Schiffsmalerei Durlo in Harlingen. Wir hatten nämlich beschlossen, auch das Überwasserschiff neu malen zu lassen. Die Wahl dieses Betriebes hat sich, worauf wir noch näher eingehen werden, bis jetzt bewährt.

Das Schiff wird sorgfältig auf den Bock gesetzt

Das Schiff wird sorgfältig auf den Bock gesetzt

Harlingen ist ein Epizentrum der Traditionsschifffahrt. Hier sind Fachleute am Werk, die seit Generationen im Schiffbau und -unterhalt tätig sind.

Der Bock wird mit einer ferngesteuerten 100-Tonnen-Hydraulikhebebühne unterfahren

Der Bock wird mit einer ferngesteuerten 100-Tonnen-Hydraulikhebebühne unterfahren

Die Fernsteuerung der hydraulischen Hebebühne

Die Fernsteuerung der hydraulischen Hebebühne

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Auf dem gleichen Betriebsgelände wie der Schiffsmaler DURLO befindet sich die Schiffswerft Multiship Holland. Während Durlo über eine Halle für die Schiffsmalerei sowie eine Spritzhalle für Schiffe bis zu 30 Meter Länge verfügt, bietet Multiship eine Halle zum Sandstrahlen sowie eine Konstruktionshalle. Alle vier Hallen sind schwellenfrei, sodass ein Schiff, während es immer auf dem Bock bleibt, nach Bedarf mit der hydraulischen Hebebühne von einer Halle in die andere gefahren werden kann.

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Vinko Kokic schleift das Salondach

Vinko Kokic schleift das Salondach

Kinette ist kaum aus dem Wasser gehoben, mit Hochdruck abgespritzt und in die Halle der Schiffsmaler gefahren worden, beginnen die Maler bereits mit der Arbeit. Die Dächer von Salon und Achterkabine werden geschliffen, das Laufdeck mit dem Pressluft-Nagelhammer von den alten Farbschichten befreit – bis auf den blanken Stahl. Wir sind von Tempo und Effizienz beeindruckt.

Hessel Bloemhof mit dem Pressluft-Nagelhammer auf dem Laufdeck

Hessel Bloemhof mit dem Pressluft-Nagelhammer auf dem Laufdeck

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Der Zustand der erst drei Jahre alten Farbe auf dem Unterwasserschiff bereitet uns Kopfzerbrechen. Durk Bloemhof erklärt uns – und Jacob Blom von EOC-Expertise wird uns dies später bestätigen –, dass Haft-grund und Antifouling auf den alten Teerschichten, welche zuvor während Jahrzehnten aufgetragen worden waren, einfach nicht mehr richtig haften. Von Schutzwirkung kann keine Rede mehr sein.

Ganz so schlimm sieht es bei unserem Schiff nicht aus – aber sehr ähnlich

Ganz so schlimm sieht es bei unserem Schiff nicht aus – aber sehr ähnlich

Zwei Möglichkeiten stehen zur Verfügung: Entweder die alten Farbschichten, so gut es geht, von Hand abkratzen oder dann den ganzen Rumpf sandstrahlen. Variante eins kommt nicht ernsthaft in Betracht. Der Arbeitsaufwand wäre enorm, das Resultat im besten Fall mässig, sicher aber nicht nachhaltig.

Variante zwei ist Sandstrahlen. Das ist bei einem 94 Jahre alten, genieteten Stahlrumpf mit Risiko verbunden, auch wenn die holländischen Stahlschiffe aus jener Zeit mehr oder weniger für die Ewigkeit gebaut sind. Wir erkundigen uns bei unseren holländischen Freunden, die ebenfalls ältere Schiffe besitzen. Die Meinungen reichen von «Sandstrahlen und dann mit Epoxy behandeln ist das Beste, was Ihr für Euer Schiff tun könnt» bis «Finger weg vom Sandstrahlen! An dünnen Stellen geht der Sandstrahl durchs Schiff hindurch und möglicherweise werden Euch die Nieten um die Ohren fliegen!».

Vorsorglich lassen wir uns von Multiship, welche für das Sandstrahlen zuständig ist, eine Offerte erstellen. Der Sand (hier ist es Korund, nach Diamant das zweithärteste Mineral) kann in unserem Fall nach dem Strahlen wegen des Teers nicht mehr verwendet und muss als Sondermüll entsorgt werden. Das ver-teuert die ganze Sache. Wir beschliessen, das Thema mit dem Experten von EOC-Expertise zu erörtern.

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Der gesamte Rumpf wird abgeklopft

Der gesamte Rumpf wird abgeklopft

Mittlerweile ist auch Jacob Blom von EOC-Expertise angekommen und prüft den Rumpf, indem er ihn von vorne bis hinten mit dem Hammer abklopft. Das geschulte Ohr des Experten hört sofort dünnere oder sonstwie kritische Stellen heraus. Mit Kreide werden Dutzende von Messstellen angezeichnet, mit der Schleifscheibe blankgeschliffen und dann wird mit Ultraschall die Stahldicke gemessen. Das Resultat wird an der entsprechenden Stelle aufgezeichnet und ins Messprotokoll übertragen.

Die Messstellen werden blankgeschliffen ...

Die Messstellen werden blankgeschliffen …

... und das Resultat – hier 5.3 mm – aufgezeichnet

… und das Resultat – hier 5.3 mm – aufgezeichnet

Wir diskutieren mit Jacob Blom, ob wir das Risiko des Sandstrahlens eingehen können. Er hat nach gründlicher Rumpfinspektion keine Stellen gefunden, an denen die Gefahr besteht, dass durch den Rumpf hindurch gestrahlt wird. Persönlich würde er – so meint er – den Rumpf sandstrahlen, dann drei Lagen Epoxy, darauf eine Zwischenlage und dann das Antifouling. Ein so behandelter Rumpf sei für viele Jahre perfekt geschützt. Das ist das, was uns auch Maler Durk Bloemhof empfohlen hat.

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Auf der Fahrt in die Sandstrahlerei

Auf der Fahrt in die Sandstrahlerei

Noch am selben Tag geht unser Schiff auf die Reise in die Strahlhalle, wird dort oberhalb der Scheuer-leiste verpackt und die nächsten zwei Tage sandgestrahlt.

Das Schiff wird fürs Sandstrahlen verpackt

Das Schiff wird fürs Sandstrahlen verpackt

Ein Teil ist bereits gestrahlt

Ein Teil ist bereits gestrahlt

Das fertig sandgestrahlte Schiff

Das fertig sandgestrahlte Schiff

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Während das Schiff in der Strahlhalle ist, vertreiben wir uns die Zeit mit dem Erneuern der Farbe des Beibootes sowie des Schiffskrans. Beide stehen auf dem Achterdeck , sind Wind und Wetter ausgesetzt und haben entsprechend gelitten.

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Sandgestrahlt bis auf den blanken Stahl

Sandgestrahlt bis auf den blanken Stahl

Die nächste Station ist die grosse Konstruktionshalle der Multiship. Die Firma wird geführt von Froukje Meijer, selbst Skûtsje-Wettstreitseglerin und Tochter des Firmengründers und bekannten friesischen Skûtsje-Seglers Sieb Meijer («Skûtsjes» sind traditionelle Plattboden-Segelschiffe von um die zwanzig Meter Länge, mit welchen jährlich in ganz Friesland spektakuläre Meisterschaften gesegelt werden). Werftchef ist Wiecher Kocken. Auch er hat die Schifffahrt im Blut. Er ist der Sohn des in Friesland legendären Skûtsje-Seglers Hein Kocken.

Die Befestigungen für zwanzig Aluminium-Anoden werden aufgeschweisst

Die Befestigungen für zwanzig Aluminium-Anoden werden aufgeschweisst

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Rumpfinspektion nach dem Sandstrahlen

Rumpfinspektion nach dem Sandstrahlen

EOC-Experte Jacob Blom kann jetzt, da der Rumpf blank ist, allfällige Schwachstellen erkennen, die dem Auge, dem Hammer und dem Ultraschall entgangen sind. Und tatsächlich findet er – neben ein paar Nieten, die zugeschweisst werden müssen – eine grössere Stelle, an welcher er das Aufschweissen einer 5mm-Stahlplatte anordnet.

Eine 5mm-Stahlplatte zur Verstärkung

Eine 5mm-Stahlplatte zur Verstärkung

Der Schweisser, ein Freelancer, ist an diesem Tag nicht verfügbar und so nimmt Werftchef Wiecher Kocken das Schweissgerät selbst zur Hand. Die aufzuschweissende Stahlplatte befindet sich seitlich unter dem Maschinenraum. Hier bewährt es sich, dass wir bei unseren Umbauten am Schiff darauf geachtet haben, dass die Bilge von innen soweit wie möglich zugänglich ist. So kann Christian den Verlauf des Schweissens von innen genau verfolgen. Bei Brandgefahr könnte er unverzüglich eingreifen. Aber das geschieht nicht und an einem Freitagabend gegen halb fünf sind die Schweissarbeiten am Rumpf beendigt.

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Wer holländische Werften kennt, weiss, dass am Freitagnachmittag punkt sechzehn Uhr der Hammer (oder der Pinsel) zu Boden fällt. Aber offensichtlich sind wir hier weder bei Durlo noch bei Multiship in einem gewöhnlichen Betrieb. Multiship hat lediglich vier festangestellte Mitarbeiter, aber etwa fünfzehn qualifizierte Freelancer, welche nach Bedarf aufgeboten werden. In der Schiffsmalerei Durlo arbeiten vier Maler, denen die Firma gemeinsam gehört.

Das Schiff wird in die Spritzhalle gefahren

Das Schiff wird in die Spritzhalle gefahren

Und deshalb fällt punkt sechzehn Uhr weder bei Multiship der Hammer noch bei Durlo der Pinsel zu Boden, sondern es wird – am Freitag vor Pfingsten! – bis sechzehn Uhr dreissig jede geschweisste Stelle sorgfältig verschliffen. Dann wird Kinette in die Spritzhalle gefahren, wo alles vorbereitet ist für den Auftrag der ersten Schicht Epoxy.

Bereit für den Auftrag der ersten Schicht Epoxy

Bereit für den Auftrag der ersten Schicht Epoxy

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Die erste Schicht Epoxy – 60 kg Farbe – ist aufgetragen

Die erste Schicht Epoxy – 60 kg Farbe – ist aufgetragen

Eine Stunde später ist das Epoxy aufgetragen. Schiffsmaler Lucas Kroon wollte diese erste Schicht unbedingt noch an diesem Freitag auftragen, damit sie über das verlängerte Pfingstwochenende aushärten kann. So stellt man sich das als Kunde vor!

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Für diejenigen, welche mit Schiffstechnik nicht so viel am Hut haben, werden wir uns im nächsten Bericht mit Harlingen und seiner Umgebung befassen. Im übernächsten Bericht geht es dann mit dem Fortgang der Arbeiten auf der Werft weiter und dann, so hoffen wir, können wir endlich wieder vom Schifffahren erzählen!

Aus dem Logbuch

  • Durlo Jachtschilders. Schiffsmaler für hohe Ansprüche. Verfügt über eine Spritzhalle für Schiffe bis 30 Meter und eine ebenso grosse Werkhalle Adresse: Kanaalweg 31, 8861 VA Harlingen. Tel. +31 653 390 532. Mail: info@durlojachtschilders.nl. URL: www.jachtschilders.nl
  • Multiship Holland. Verfügt über einen 100-Tonnen-Hebkran, eine selbstfahrende 100-Tonnen Hydraulikhebebühne, Sandstrahlerei und grosse Konstruktionshalle. Adresse: Kanaalweg 33, 8861 VA Harlingen. Tel. +31 (0)517 23 58 57. Mail: info@multishipholland.nl. URL: www.multishipholland.nl

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