Ken und seine Frau Lynn sind Engländer und wohnen das ganze Jahr auf ihrer «Captain’s Lady», einem imposanten Stahlschiff von 24.94 Meter Länge und 4.86 Meter Breite. Die Geschichte, wie Ken und Lynn zu diesem Schiff kamen, ist durchaus erzählenswert. Weiterlesen
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Bericht 27, April 2007
Winterpause in Roanne, letzter Teil
Zu unserem Exkursionsprogramm gehört auch der Besuch des grössten Viehmarktes in der Gegend, der jeden Mittwoch in Saint-Christophe-en-Brionnais stattfindet. Rund 800 Kälber, Kühe, Ochsen und Stiere der Charolais-Rasse kommen auf den Markt.
Der Handel beginnt, was für Frankreich ungewöhnlich ist, erst am Nachmittag, ab 13:30 Uhr.
Die Viehhändler, also die Käufer, tragen traditionell lange, schwarze Blusen. Zur Ausrüstung gehört ferner ein Stock, der mehreren Zwecken dient: Man kann u.a. damit das Objekt des Kaufinteresses auf seine Fleischqualität abklopfen und dann die gekaufte Kuh aus dem Gatter treiben.
Der Handel wird mit Handschlag besiegelt. Man kennt sich und man trifft sich jede Woche.
Interessanterweise wird noch in den alten französischen Francs gemarktet. Tradition und Gewohnheit sind alles. Erst wenn der Handel zustande gekommen ist, wird in Euro umgerechnet.
Die Charolais-Rasse ist eine ausgesprochene Fleischviehrasse. Teilweise sind die Tiere dermassen hochgezüchtet, dass die Kälber nur per Kaiserschnitt ans Tageslicht gebracht werden können.
Die Tiere werden aber nicht nur für den Schlachthof verkauft, sondern auch zur Zucht.
***
Zurück in Roanne, sind Unterhaltsarbeiten am Schiff auf dem Programm. Das Wetter ist nass, es regnet tagelang. Das freut uns, denn jetzt werden die Speicherbecken der Kanäle gefüllt und die Schifffahrt ist auch im Herbst gesichert. Ein weiterer Trost ist, dass das Wetter in der Schweiz weitaus schlechter ist, Zürich versinkt, so erfahren wir, im Schnee.
Den mächtigen Schiffsdiesel haben wir unterhaltsmässig ziemlich im Griff, aber zwischen Getriebe und Schiffsschraube hat es einen Wellenlagerbock und zwei Kreuzgelenke, die zu schmieren und zu fetten wir uns schon seit langem vorgenommen haben. Ferner sorgt dort, wo die Schraubenwelle aus dem Rumpf austritt, eine Stopfbuchse für Dichtung. Deren Packung muss überprüft werden. Und jetzt ist doch gerade das richtige Wetter für Arbeiten im trockenen und warmen Schiffsinnern.
Die Schmiernippel der Kreuzgelenke sind gut zugänglich und stellen kein Problem dar. Einfach mit der Fettpresse solange pumpen, bis das Fett herausquillt. Der Wellenlagerbock ist schon eine etwas grössere Herausforderung.
Schmiernippel sind keine zu ersehen. Irgendwie haben wir Hemmungen, dieses Lager einfach zu öffnen. Aber wenn es unterwegs trocken laufen sollte, sähen wir ziemlich alt aus. Und gemäss Murphy’s Law wird dies unweigerlich passieren und zwar auf einer dicht befahrenen Wasserstrasse mit viel Berufsverkehr und kräftiger Strömung auf eine Brücke zu. Also ist guter Rat teuer. Kurzentschlossen schicken wir eine Mail an Piet de Bock von der Schiffswerft de Bock & Meijer, wo unser Schiff 1922 vom Grossvater des heutigen Werfteigentümers gebaut wurde. Und tatsächlich, postwendend kommt die Antwort:
Dit lager is een kogellager en heeft geen smeerpunten. Om te zien hoeveel vet erin het lager aanwezig is moeten de twee bouten van het lagerdeksel verwijderd worden. Het eventueel te gebruiken vet dient kogellagervet te zijn. Het lager mag slechts voor plm 70 % gevuld te zijn, omdat anders de warmetontwikkeling te groot wordt in het lager. Mochten er nog vragen overblijven dan horen we dit graag.
Groeten, Piet
(«Dieses Lager ist ein Kugellager und hat keine Schmierpunkte. Um zu sehen, wieviel Fett im Lager anwesend ist, müssen die beiden Bolzen vom Lagerdeckel entfernt werden. Das eventuell zu gebrauchende Fett muss Kugellagerfett sein. Das Lager darf nur zu plusminus 70% gefüllt sein, weil sonst die Wärmeentwicklung zu gross wird im Lager. Sollten noch Fragen übrig bleiben, dann hören wir dies gerne. Grüsse, Piet»). Es geht doch einfach nichts über die gute alte holländische Schiffsbautradition und eine kundenfreundliche Werft!
Nach einem kurzen Abstecher zur «Norauto Roanne», einem Fahrzeugfachgeschäft, wo es Kugellagerfett gibt, öffnen wir das Lager sorgfältig, reinigen und entfetten es, bevor wir es wieder mit frischem Fett füllen. Sind Wellenlager Ihr Hobby? Dann wird Sie die Spezifikation des Fettes interessieren: Schwedische Kugellagerfabriken (SKF) VKG 1/0.2,
Beruhigend ist, dass das Lager nicht die geringsten Verschleisserscheinungen zeigt. Dann wird alles wieder zusammengebaut. Wir haben zur Sicherheit vor der Zerlegung eine Foto gemacht, damit wir das Gehäuse nachher wieder gleich zusammenbauen. Jetzt kommt der grosse Moment, nämlich der Probelauf. Zündschlüssel ein, Startknopf drücken und aufs erste Mal springt der zuverlässige Schiffsdiesel an, nachdem er ja seit ziemlich langer Zeit nicht mehr gelaufen ist. Nach etwa 15 Minuten hat er Betriebstemperatur erreicht, also Gang hinein und Marschfahrt. Das Heckwasser schäumt und das Schiff zerrt an den Tauen. Eine halbe Stunde lang lassen wir den Motor mit 1100 Touren laufen. Zu unserer grossen Genugtuung ist das Wellenlager dicht und erhitzt sich nicht. Ein Punkt mehr, der auf unserer Aufgabenliste abgehakt werden kann.
Als nächstes ist die Stopfbuchse der Schraubenwelle an der Reihe. Wir haben, was wir offen zugeben, etwas Herzklopfen. Diese Buchse dichtet jene Stelle ab, wo die Schraubenwelle durch den Schiffsrumpf geführt wird. Tritt Wasser ein, wenn man die Dichtungspackung entfernt? Vor unserem geistigen Auge sprudelt unaufhaltsam Wasser in die Bilge und das Schiff sinkt ebenso unaufhaltsam, bis nur noch der Mast aus dem Wasser ragt… Aber der Testlauf ergibt, dass die Stopfbuchse noch vollständig dicht ist. Also warten wir zu mit dieser Operation. Wenn etwas funktioniert: Hände weg und nichts daran machen!
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Unterdessen findet hier unaufhaltsam der Frühling statt. Es zieht uns richtig hinaus zum unseemännischen Wandern. Aber das Hinterland von Roanne ist dermassen einladend, dass uns nichts drinnen hält. Auf der 25’000er-Karte haben wir eine Wanderung herausgetüftelt, Wegpunkte mit dem Koordinatensystem berechnet und die Koordinaten auf unser GPS übertragen.
Die Wanderung führt vom voralpinen Weiler Marimby bei Les Noës auf etwa 900 m hinauf zu den Bois de Marimby. Die Bezeichnung «Suisse Roannaise» ist hier nicht ganz abwegig. Man kommt sich in der Tat vor wie im Prättigau.
Je höher wir kommen, desto tiefer wird der Schnee.
Das GPS, ein Garmin 76CSx mit der topographischen Karte France 7 auf dem Chip, ist hier auf plus/minus 5 Meter genau. Wir müssen an dieser Stelle Ueli Krebser ein Kränzchen winden (Poly-Electronic Bassersdorf www.gps-shop.ch), der uns beim Kauf seriös beraten und auf dessen hervorragender Website wir bei Problemen immer eine Antwort gefunden haben. Trotz GPS ist es aber beruhigend, dass die Wanderwege hervorragend ausgeschildert sind. Wegzeichen signalisieren nicht nur den Wanderweg,…
…sondern auch diejenigen Abzweigungen, die man nicht nehmen sollte, weil man sonst die Route verlässt.
Unterwegs fällt uns im Geäst eines Baumes eine Art Nest auf, das wir nicht so richtig zuordnen können. Es ist etwa so gross wie eine Honigmelone und sieht aus wie ein riesiger Kokon, aber gibt es so grosse Raupen?
Aber französische Freunde versichern uns, dass dies der (hochgiftige) Kokon einer Raupe sei, dem Prozessionsspinner (chenille procéssionaire). Und tatsächlich begegnen wir eines Tages auf einer Wanderung einer derartigen Prozession.
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Jeden Montagnachmittag unternehmen wir mit der Wandergruppe des «Club Accueil et Amitié», dessen Mitglieder wir mittlerweile geworden sind, eine zwei- bis zweieinhalbstündige Wanderung im Umkreis von etwa 30 km um Roanne. Zusammen mit der Engländerin Celia und unseren holländischen Freunden Ton und Dickie sind wir die einzigen Ausländer. Der Club umfasst noch weitere Gruppen wie Malgruppen, Gymnastikgruppen, Sprachgruppen etc. und zählt deutlich über 100 Mitglieder. Am letzten Freitag im März ist ein Unterhaltungsnachmittag angesagt. Er beginnt mit einem opulenten Mittagessen im Gemeindesaal von Renaison. «Schlachtplatte» würde man das bei uns wohl nennen: Sauerkraut mit Würsten, Speck und Gnagi. Nicht gerade für die schlanke Linie und wohl auch nicht für den Cholesterinspiegel, aber das werden wir wieder herunterwandern!
Dann folgt der Unterhaltungsteil. So geht es wohl bei einem Altersnachmittag zu und her. Was solls – irgendwann müssen wir uns auch damit vertraut machen! Man hat uns in der Woche zuvor bedeutet, eine kleine Produktion der chers amis suisses würde wohlwollend aufgenommen. So kommt es, dass angekündigt wird, les membres suisses würden ein schweizerisches Volkslied singen. Grosses Gelächter und dann Applaus, wie wir «La haut sur la montagne» anstimmen. Der ganze Saal singt mit.
Weit übertroffen wird diese Darbietung von Charlotte und der vor lauter Temperament beinahe zerplatzenden mittlerweile 90jährige Miclaude, die zusammen «Non, je ne regrette rien» interpretieren.
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An einem leider etwas trüben und regnerischen Nachmittag ruft uns Paul, ein Lion’s-Kollege von Christian an. Ob wir Lust auf einen Rundflug mit seinem Sportflugzeug, einer amerikanischen «Maule», hätten. Selbstredend haben wir Lust und so sehen wir einmal das Roannais von oben.
Unterwegs legt Paul die Hände in den Schoss und sagt zu Christian: «Flieg Du!» Wie war das noch beim autogenen Training? «Ich bin ganz ruhig. Ich bin gaaaanz ruuuhig!» Es geht erstaunlich gut – höchstens etwas wacklig im Vergleich zur christlichen Fluss- und Kanalschifffahrt. Jedenfalls ist nicht ganz sicher auszumachen, wer dann nach geglückter Landung erleichterter ist, der Schiffs- oder der Flugkapitän!
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Viele unserer Leser gehören zur grossen Gemeinde der Mietböötler. Für sie kommt jetzt die Zeit der Vorfreude und der Törnplanung. Welche Tips können wir liefern?
Zum Fahrrevier: Jeder, der in Frankreich schon einmal Hausbootferien gemacht hat, war auf dem Canal du Midi. Und wer noch nie auf dem Canal du Midi war, kennt den Canal du Nivernais. Diese Kanäle sind daher in der Hochsaison für alle diejenigen empfehlenswert, die auch in den Ferien am liebsten Schweizer- oder noch lieber Hochdeutsch hören, im Gedränge vor den Schleusen ihre Durchsetzungsfähigkeit beweisen und am Abend im dichten Rudel irgendwo anlegen wollen. Dabei gibt es doch wunderschöne, ruhige und idyllische Kanäle und Flüsse abseits des Touristentrubels. Man muss sie nur entdecken!
Zum Fahren: Yachten bis zu 15 m Länge kann man dank Ausnahmebestimmungen in den meisten Ländern ohne Motorbootführerschein chartern. Die Vermieter weisen ihre Kunden mehr oder weniger seriös ein – ausserhalb der Hochsaison mehr und in der Hochsaison weniger. Zwar haben die meisten Yachten Lenkräder, die denen von Autos sehr ähnlich sind. Damit hört die Ähnlichkeit aber schon bald auf. Wer wie mit einem Auto rückwärts in einen Hafenplatz einparkieren will, merkt sehr schnell, was wir meinen.
Für alle Manöver, sei es beim Anlegen, beim Ablegen und beim Ein- und Ausfahren in Schleusen gelten drei Grundsätze. Erstens: Langsam. Zweitens: Langsam. Drittens: Langsam. Auch mit einer mittleren Charteryacht bewegt man nämlich mehrere Tonnen mit der entsprechenden Massenträgheit. Wer wie wild auf den Steg zufährt, muss entsprechend wild korrigieren, und wenn er das nicht rechtzeitig tut, knallt es dann ebenso wild. Wer den Schaden hat, muss in der Regel für den Spott nicht sorgen.
Wenn Sie ein Hausboot mieten, dann können ein paar Fahrstunden vor den Ferien auf einem Schweizer See auch nicht schaden. Sie müssen ja nicht gerade die Motorbootprüfung machen. Aber Sie können Ihre Ferien entspannter geniessen (und müssen nicht die Tragfähigkeit Ihrer Partnerschaft testen…), wenn Sie mit Ihrem gemieteten Hausboot einigermassen umgehen können. Und dafür sind doch Ferien eigentlich da, oder nicht?
Unter Schleusenwärtern auf einem von Touristen häufig (heim)gesuchten Kanal zirkuliert übrigens folgende hübsche Geschichte: Ein (Schweizer) Ehepaar mittleren Alters fährt mit einem Mietboot in eine offene Schleuse ein. Zu schnell und schräg. Die am Bug stehende Frau kann den Poller nicht erreichen, worauf der am Steuer stehende Ehemann zu brüllen beginnt und seine Frau coram publico zusammenstaucht. (Merke: Die Verantwortung trägt immer der Kapitän!). Während sich die Schleuse langsam füllt, verschwindet die Frau im Innern des Mietbootes und erscheint nach zehn Minuten mit dem Koffer in die Hand. Sie bittet den verständnisvoll lächelnden Schleusenwärter, ihr sofort ein Taxi zum nächsten Bahnhof zu bestellen. Das halte sie nicht mehr länger aus. Sprach’s und liess ihren verdutzten Ehemann in der Schleuse zurück.
Wenn man, beiläufig bemerkt, über einen gewissen Bekanntheitsgrad verfügt, so hat das eine stark disziplinierende Wirkung. Oder würden Sie es gerne hören, wenn es heissen würde: «Kännsch die beide det äne uf dem Schiff? Das sind doch s’Huebers! Weisch, dä, wonemal Regierigsrat gsi isch! Ghörsch, wie die sich aaseiched?»
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Exakt am 5. April bricht in Roanne der Frühling zum zweiten Mal über uns herein. Nach einer Reihe von garstigen, kalten und regnerischen Tagen, in denen wir lesend und spielend im warmen Salon sassen, wird es warm und freundlich. Die Ente, die uns den Winter durch das harte Brot abgenommen hat, stellt uns ihren Nachwuchs vor, zehn kleine Flaumknäuel, die höchstens zwei, drei Tage alt sind.
Wir verstehen die Botschaft und opfern ein Stück noch nicht ganz hartes Brot. Es sind nur noch wenige Tage bis Ostern und eigentlich könnten wir uns die kleinen Entchen ganz gut als Tischdekoration vorstellen… Aber dafür sind sie definitiv nicht auf die Welt gekommen!
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Ein Sonntagsausflug mit unseren holländischen Freunden Ton und Dickie führt uns nach Juré ins Restaurant Le Moulin. Die halbe Stunde Autofahrt lohnt sich: Restaurant und das dazugehörige, natürlich wassergetriebene Sägewerk sind aus einer anderen Zeit. Aber noch klappert das Wasserrad und den Strom erzeugen Säger und Gastwirt auch mit Wasser.
Zum Digestif fahren wir nach St-Haon-le-Châtel, wo uns ein weiterer Geheimtip ins alte Schloss führt. Dort erwartet uns, ziemlich versteckt, ein umwerfend gemütliches Beizli.
Hier wird absolut stilvoll ein Absinth serviert.
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Die nachösterlich anhaltende Schönwetterperiode veranlasst uns, das Steuerhausdach zu demontieren, zu schleifen und neu zu malen.
Die Steuerhäuser alter Frachtschiffe sind vielfach so konstruiert, dass sie mit relativ wenig Aufwand abgebaut werden können. Das ermöglicht die Durchfahrt auch unter ziemlich tiefen Brücken. Das einfache Baukastenprinzip erleichtert – als willkommener Nebeneffekt – die Unterhaltsarbeiten enorm.
Nach einem weitern Farbauftrag können wir das Steuerhaus-Dach und das Zeltvordach wieder montieren. Wir haben jetzt Übung im Auf- und Abbauen des Steuerhauses. Das wird uns auf dem Canal du Nivernais zugute kommen. Dort ist Kinette für einige Brücken und ein Tunnel möglicherweise zu hoch.
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Der ausgebrochene Frühling treibt die Hafengemeinschaft zu einem gemeinsamen Barbecue in Artaix, wohin sich die Einen per Schiff, die Andern per Camper und die Dritten per Auto begeben.
Wenig später hat die Hafengemeinde noch einmal Gelegenheit, eine Vollversammlung zu zelebrieren: Bill und Fran, die ihr Schiff, die «Françoise 1ère», verkauft haben, nehmen Abschied. Sie bringen das Schiff auf die Werft in St-Jean-de-Losne, wo es der neue Eigner übernehmen wird.
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Richtige Seeleute geniessen die Landschaft grundsätzlich nur vom Deck ihres Schiffes aus. Wir geben zerknirscht zu, dass wir, daran gemessen, keine richtigen Seeleute sind. Die Landschaft ist so prächtig, dass wir einfach tagelang wandern müssen, ob wir wollen oder nicht!
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Unsere Sätze beginnen immer häufiger mit «Das ist bis im November das letzte Mal, dass wir…» Zu diesen letzten Malen gehört der Freitagmarkt, wo wir im vergangenen Jahr «unsere» Händler und Produzenten gefunden haben.
Am 29. April ist es endlich soweit: Der Telefon-Landanschluss und der Landstrom werden ausgesteckt, die Leinen losgeworfen und nach einem eleganten Wendemanöver im Hafenbecken nehmen wir Kurs auf die Schleuse Nr. 1, die das Hafenbecken von Roanne vom Canal de Roanne à Digoin trennt. Mit uns an Bord sind Dominique und Fredi, ein Lehrerehepaar aus dem Zürcher Oberland.
Die Fahrsaison kann beginnen!
Bericht 26, März 2007
Winterpause in Roanne
So schön und abwechslungsreich das Fahren auf Kanälen und Flüssen ist, so beschränkt ist dabei die Sicht auf die Umgebung. Die Sehenswürdigkeiten abseits der Wasserstrassen bleiben unentdeckt. Je länger wir unterwegs sind, desto ausgedehnter werden deshalb unsere Aufenthalte an schönen, sehenswerten oder einfach idyllischen Orten und desto mehr unternehmen wir lange Velotouren. Während unserer Winterpause in Roanne haben wir uns – worüber wir schon berichtet haben – einer französischen Wandergruppe angeschlossen. Jeden Montagnachmittag wandern wir in einem anderen Teil in der weiteren Umgebung von Roanne und entdecken auf diese Weise Wege, Stege und Dörfchen, die uns sonst verschlossen blieben.
Das touristisch praktisch nicht erschlossene, toascana-ähnliche Hinterland von Roanne wartet geradezu darauf, entdeckt zu werden. Dass man diese Gegend hier «La Suisse Roannaise» nennt, ist zwar etwas abgedroschen, aber nachvollziehbar.
Während unserer Winterpause haben wir unseren Radius noch etwas übers Wandern und Velofahren hinaus erweitert und für ein paar Monate ein Auto gemietet. Eine unserer touristischen Exkursionen führt uns ins Zentralmassiv. Die Weite und die Einsamkeit der Landschaft sind umwerfend.
Im Reiseführer lesen wir von einem Dorf namens Chaudes-Aigues, wo mit 82° Celsius die heisseste Quelle Europas entspringen soll. Das Dorf ist schnell gefunden und tatsächlich dampft es in einer kleinen Gasse vielversprechend aus einem Haus.
Eine Hinweistafel bestätigt uns, dass wir am richtigen Ort sind.
Leider ist das dann auch alles, weil die Quellfassung renoviert wird und das zur Quelle gehörende Informationszentrum geschlossen ist.
Das Dörfchen verströmt im Übrigen den Charme eines stillgelegten Bahnhofs. Irgendwie ist die Zeit an diesem Kur- und Badeörtchen vorbei gegangen.
Unsere nächste Station ist das Dorf Laguiole, im okzitanischen Dialekt als «La-yole» ausgesprochen. Es liegt auf rund auf 1000 m.ü.M im Département L’Aveyron. «Laguiole» ist in Frankreich ein Synonym für qualitativ hochstehende Messer, die man an einer stilisierten, geschmiedeten Biene auf dem Messerrücken erkennt. Diese Messer wurden hier erstmals 1829 als Allzweck-Werkzeug für Schafhirten gefertigt.
«Laguiole» ist, so lernen wir, nicht etwa ein Firmenname wie «Wenger» oder «Victorinox», sondern ein Dorf von rund 1300 Einwohnern und unzähligen ganz kleinen, mittleren und zwei grossen Messerschmieden. Allerdings haben es die Messerschmiede von Laguiole verpasst, den Namen schützen zu lassen, so dass sie sich heute mit billigen Imitationen aus China und Pakistan konfrontiert sehen, die allesamt wie richtige Laguiole-Messer aussehen, zumindest bis zum ersten Gebrauch…
Zuerst schauen wir den Messerschmieden beim Handwerker Benedikt – «Benoit l’artisan» – über die Schulter, dann besuchen wir «La Coutellerie de Laguiole», wo die Messer ganz von Hand gefertigt werden (www.layole.com). Die Produktion ist hier so organisiert, dass alle Einzelteile, auch die Klingen aus Spezialstahl (für Messerfreaks: 12 C 27) in der Messerschmiede selbst gefertigt werden, worauf jeweils ein Messerschmied ein Messer von A bis Z zusammensetzt, hämmert, anpasst, bohrt, feilt und schleift.
Weil alles Handarbeit ist, ist jedes Messer individuell und die Messerschmiede behaupten, sie könnten ohne zu Zögern erkennen, wer von ihnen ein bestimmtes Messer gemacht habe. Das wäre ja mal etwas für «Wetten, dass…»!
Jedenfalls ist Christian vom Messer, dessen Entstehung wir mitverfolgt haben, so fasziniert, dass er sich beim betreffenden Messerschmied erkundigt, ob er dieses, genau dieses Messer kaufen könne. Er kann, und der Messerschmied – wir erfahren, dass er Tristan heisst – lässt es sich nicht nehmen, noch «Christian» auf die Klinge zu gravieren.
Unser nächstes Ziel ist Bozouls, etwa 20 km nordöstlich von Rodez, ebenfalls im Département L’Aveyron. Das Dorf ist an den Abgrund einer Schlucht gebaut, welche der Dourdou, ein harmlos aussehender Fluss, in Millionen von Jahren in einer riesigen Schlaufe tief in den Felsen gefressen hat.
Diese Schlucht ist rund 800 m lang und über 100 m tief. Die Häuser, Strassen und Autos unten in der Schlucht sehen aus wie im Spielzeugland. Direkt am Abgrund klebt die aus dem 12. Jahrhundert stammende Kirche Ste-Fauste,
In Bozouls übernachten wir im Hotel «A la Route d’Argent», einem Familienbetrieb mit einer vorzüglichen Küche. Die Mutter ist am Empfang, der Vater in der Küche und die (hübsche!) Tochter serviert. All das zu einem Preis, wie man ihn nur noch in der französischen Provinz trifft.
Am nächsten Tag fahren wir wieder bis auf 1300 m Höhe, auf ein riesiges Basaltplateau namens Aubrac. Dieses Hochplateau liegt im «Dreiländereck» der Provinzen Rouergue, Auvergne und Gévaudan. Es ist der südlichste vulkanische Ausläufer des Zentralmassivs. Die grandiose, windgepeitschte Hochebene gleicht im Winter der verschneiten russischen Steppe. Er sei hier «in loco horroris et vastae solitudinis» schrieb ein römischer Dichter, in einem «Ort des Schreckens und der grenzenlosen Einsamkeit». Das gleichnamige Dorf keltischen Ursprungs – Aubrac – liegt windgeschützt in einer Geländefalte am Pilgerweg nach Santiago de Compostela. Im Winter eine beliebte Langlaufregion, im Sommer ein herrliches Wandergebiet, ist das Hochplateau jetzt im Vorfrühling einsam und verlassen.
Eine weitere Station dieses Pilgerwegs ist Nasbinal, ebenfalls ein Mekka des Skilanglaufs.
Die Geschichte des imposanten Bauwerks verliert sich im 11. Jahrhundert. Es diente ursprünglich wohl als Unterkunft für Arme, Pilger und verirrte Kaufleute. Noch heute klopfen hier Pilger an, unterwegs nach Santiago de Compostela. Roanner Freunde haben uns von der Talsperre von Grandval in der Auvergne erzählt und einer imposanten Eisenbahnbrücke, welche diese Talsperre überspannt.
In der Tat, nordöstlich von Chaudes-Aigues erstreckt sich in einer weitgehend unbesiedelten Gegend ein riesiger Stausee. Über dessen nördliches Ende spannt sich der 564 m lange Viaduc de Garabit, eine imposante Stahlkonstruktion, erbaut 1882–1884.
Den Bau leitete ein gewisser Gustave Eiffel. Dank der dabei gewonnenen Erfahrungen konnte er für die Pariser Weltausstellung von 1889 seinen berühmten, 300 m hohen Eiffelturm errichten.
Auf der Rückfahrt nach Roanne sehen wir von weitem auf einem mächtigen Basaltfelsen ein Festungsstädtchen, dessen Silhouette von den zwei massiven Türmen einer Kathedrale geprägt ist. Spontan beschliessen wir, Saint-Flour näher anzuschauen. Die Mühe lohnt sich.
Saint-Flour zählte im Mittelalter um die 7’000 Einwohner und es sind auch heute noch nicht mehr.
Manchmal scheint die Zeit stehen geblieben zu sein, wenn nicht im Mittelalter, dann doch im letzten Jahrhundert.
In der Kathedrale finden wir einen laut Reiseführer berühmten schwarzen Jesus, genannt «Beau Dieu Noir»…
…sowie zwei ausdrucksvolle Holzstatuen aus dem Mittelalter.
Dass das regionale Steueramt hierzulande in einem «Hôtel des Impôts» residiert, bringt uns dann aber wieder ins Diesseits zurück.
In der Nähe von Roanne liegt Charlieu im Tal der Sornin. Weil sich hier die Strassen kreuzen, die von der Saône zur Loire und von Lyon ins Loire-Tal führen, entstand in gallo-römischer Zeit die Siedlung Carus Locus, das heutige Charlieu.
Der Ort ist sehenswert, weil es gelang, im Laufe der Jahrhunderte die Zeugnisse der Vergangenheit zu bewahren.
Zu den erhaltenen Sehenswürdigkeiten zählt das alte Spital, das erst 1981 geschlossen wurde und heute als Museum zu besichtigen ist. Zumindest langweilig wurde es den Pflegebedürftigen in den grossen Krankensälen nicht!
Charlieu war aber auch eine Textilstadt, wo namentlich Seidenstoffe gewoben wurden. Heute werden in Frankreich nicht einmal mehr Webstühle hergestellt. Chinesischen Billigprodukten auf der einen und hochwertigen Seidenstoffen aus der Schweiz auf der anderen Seite war die örtliche Seidenindustrie nicht gewachsen. Die Webstühle und die Seidenstoffe sind daher ins Museum gewandert.
In der Kirche Saint-Philibert bewundern wir ein prachtvolles Kirchenfenster,…
…durch welches die Sonne ein buntes Muster auf den Kirchenboden zaubert.
Ob sich die Seidenweber hier ihre Inspirationen geholt haben?
Bericht 25, Februar 2007
Winterpause in Roanne
Den Winter 2005/2006 hatten wir teils in der Schweiz, teils auf der Werft verbracht. In jener Zeit wohnten wir bei unseren Freunden Frits und Nell in deren umgebautem Bauernhaus.
Diesen Winter wollten wir wissen, wie wintertauglich Kinette ist. Wir blieben deshalb auf dem Schiff in Roanne. Über die dortige Schiffergemeinschaft haben wir ja schon mehrfach berichtet. Es war ein bereicherndes Erlebnis, zusammen mit Gleichgesinnten aus neun Nationen den Winter zu verbringen.
Unser Roanne-Aufenthalt wurde lediglich unterbrochen durch einige kurze «Heimatbesuche» zwecks (zahn-)ärztlicher Reparatur-, Service- und Unterhaltsarbeiten.
Diese kurzen Aufenthalte bescherten uns nebenbei einige Medienpräsenz. Am 22. Februar wurden wir vom SF DRS zu Kurt Aeschbacher eingeladen, um unter dem Titel «Sturm und Drang» über den Übergang von unserem alten zu unserem neuen Leben zu berichten. Die Sendung kann man sich via Internet auch jetzt noch zu Gemüte führen, wenn man auf der Startseite unserer Homepage zuerst «Aktuell» und dann die entsprechende Zeile anklickt. Jedenfalls war es ein lustiges Erlebnis, vor allem nach der Talkshow die fröhliche Tischrunde mit Kurt Aeschbacher, Roger Schawinski, unserem Sohn sowie weiteren Freunden und Bekannten. Christian seinerseits machte an einem SonnTalk bei TeleZüri mit und hatte noch einen kurzen Auftritt in «10 vor 10» als Experte im Swissair-Prozess.
Daneben benützten wir das prächtige Spätwinter-Vorfrühlingswetter zu ausgedehnten Wanderungen in Zürichs voralpiner Umgebung. Der Üetliberg beschenkte uns mit einer prächtigen Aussicht auf die Stadt Zürich…
…und das Hörnli mit einer nicht minder prächtigen Aussicht auf die verschneiten Alpen,…
…während auf den Weiden schon heftig die Schneeglöckchen blühten.
Auf dem Rückweg von Steg nach Pfäffikon machten wir noch einen kurzen Umweg über Hermatswil, eine idyllisch gelegene Aussenwacht von Pfäffikon. Und wer fuhr uns mit seinem Pferdegespann ins Bild, als wir noch einmal die exzellente Fernsicht festhalten wollten? Edi Hofer, unser Nachbar vor 30 Jahren, als wir jungverheiratet in einem zugigen Chalet auf 740 m.ü.M. im Tössbergland gewohnt hatten! Das gab ein Wiedersehen!
Zurück zu Kinettes Wintertauglichkeit: Dieser «Winter» war zwar nicht gerade ein Härtetest für Heizung und Isolation. Dennoch lieferte er uns einige nützliche Hinweise. Unsere neue Zentralheizung erwies sich als effizient und sparsam. Vom gefürchteten Kondenswasser blieben wir verschont, nachdem wir alle Fenster mit einem transparenten «film de survitrage» isoliert hatten.
Sowohl den wassergekühlten Generator als auch die Deckwaschanlage hatten wir mit Frostschutz winterklar gemacht und den Schiffsdiesel liessen wir etwa alle drei Wochen dreiviertel Stunden lang warmlaufen (nicht im Leerlauf und nicht im Standgas!). Wenn wir das Schiff jeweils für ein paar Tage verliessen, machten wir alle Seeventile dicht und stellten den Heizungsthermostat auf 10° Celsius ein. Wäre eine längere Frostperiode angesagt gewesen, hätten wir Toiletten, Duschen und die Wasserversorgung ebenfalls winterklar gemacht, also gegen Frost geschützt.
Von zu Hause in Pfäffikon fuhren wir nach Hause in Roanne. Unsere Schiffsnachbarn, unsere Freunde vom Lion’s Club Roanne, unsere Wanderkollegen in Renaison, der Bäcker, der Metzger, der Wein-, der Fisch-, der Gemüse- und der Käsehändler begrüssten uns wie alte Bekannte. Unser Käseladen hatte – man glaubt das kaum im Käseparadies Frankreich – grad schweizerische Wochen mit Gruyère, Fromage d’Appenzell und Jura Suisse.
Hatten wir ein bisschen Heimweh nach der Schweiz und all unseren lieben Freunden dort, so half uns der Empfang hier in Roanne darüber hinweg. Dass wir auch sprachlich schon ziemlich akklimatisiert sind, merkten wir übrigens, als wir bei einem Tagesausflug nach Charlieu im dortigen Office de Tourisme einen Stadtplan verlangten. Wurden wir früher zuhanden der Statistik immer gefragt, aus welchem Land wir kämen, so lautete die Frage diesmal, aus welchem Département wir stammten. Und sozusagen wahrheitsgetreu antworteten wir: «Nous venons du Département de la Loire».
Bericht 24, Januar 2007
Die Niederlande, Frankfreich und die Schweiz im Vergleich
Seit Anfangs Mai 2005 sind wir mit unserem Schiff unterwegs, leben in den Niederlanden, in Belgien und in Frankreich und kehren jeweils nur kurze Zeit in die Schweiz zurück. Es ist wie bei einem Bild: Manchmal muss man zum Betrachten ein paar Schritte zurücktreten, um es richtig zu erfassen, um Dinge zu sehen, die man aus der Nähe gar nicht gesehen hat.
Was fällt uns in der Schweiz auf? Wir greifen drei Dinge aus dem Alltag heraus: Sprache, Banken und Verkehr.
Die Sprache
Da wir in Roanne auch ZDF empfangen können, gönnten wir uns im Ende letztes Jahr einen Abend «Wetten dass» mit Thomas Gottschalk. Einer der Stargäste war die holländische Moderatorin und Schauspielerin Linda De Mol («Traumhochzeit»). Gottschalk sprach sie auf ihren neckischen holländischen Akzent an und bat sie, die Zuschauer auf Holländisch zu begrüssen. «Goeden avond, lieve kijkers!» begann Linda De Mol. Die Niederlande sind der Schweiz punkto Emanzipation weit voraus. Gerade deshalb wäre in der Schweiz eine solche Begrüssung völlig undenkbar, Linda De Mol begrüsste nämlich die «lieben Zuschauer». In der Schweiz würde sofort ein Proteststurm losbrechen und Linda De Mol vor die versammelten Gleichstellungsbüros zitiert: Warum wurden die Zuschauerinnen nicht auch begrüsst? Antwort: Weil man in Holland holländisch (und in Frankreich französisch) spricht und nicht die lustige, politisch korrekte und geschlechtergerechte Kunstsprache, welche die Schweiz befallen hat.
Früher ist uns dieser Neusprech in der Schweiz nicht so aufgefallen, aber skurril sind sie schon, die Velo Fahrenden, die zu Fuss Gehenden, die Lehrpersonen, die Demonstrierenden und die KonsumentInnen. Und das Patientinnen- und Patientengesetz(!) eines schweizerischen Kantons, aus dem folgende Rosinen stammen, wird gewiss nie einen Preis für Schönheit oder gar Verständlichkeit erhalten:
§ 9. Die Patientinnen und Patienten haben das Recht, sich durch die eigene Seelsorgerin oder den eigenen Seelsorger betreuen zu lassen. Die Spitalseelsorge kann die Patientinnen und Patienten unaufgefordert besuchen.
§ 15 Abs. 2. Das Einverständnis für Informationen über den Gesundheitszustand an die gesetzliche Vertretung, die Bezugspersonen sowie die vorbehandelnde Ärztin oder den vorbehandelnden Arzt wird vermutet, ausser die Patientin oder der Patient äussert sich dagegen.
Dass in diesem Gesetz noch von der «Patientendokumentation» anstatt von der «Patientinnen- und Patientendokumentation» die Rede ist, dürfte den Tatbestand der Geschlechterdiskriminierung erfüllen…
Oder eine andere Trouvaille aus dem «Reglement über die Zulassung für das Studium an der Pädagogischen Hochschule Zürich»:
§ 9. Für Organisation und Durchführung der Prüfung ist das Ressort Aufnahmeverfahren zuständig. Es bestimmt die Examinatorinnen und Examinatoren sowie Expertinnen und Experten. Die Prüfungsgebühr richtet sich nach der Verordnung über die Studiengebühren an der Zürcher Fachhochschule.
Die Banken
Wir haben ein Bankkonto in der Schweiz, in den Niederlanden und in Frankreich. In der Schweiz haben wir seit eh und je ein Bankkonto und wir sind hier bankmässig auch am besten aufgehoben. Hier zahlen wir auch Steuern. Das niederländische Bankkonto eröffneten wir, weil wir die Rechnungen für die (niederländischen) Funkgerätelizenzen und die (niederländische) Schiffsversicherung im Lastschriftverfahren abbuchen lassen wollten, um keinesfalls wegen unserer schwierigen Erreichbarkeit in Verzug zu geraten. Ein französisches Bankkonto brauchten wir, um die Rechnungen für Telefon und Strom ebenfalls im Lastschriftverfahren abbuchen zu können (Siehe Reisebericht 22).
In der Schweiz ist man sich gewohnt, dass man am Bankschalter, das entsprechende Guthaben vorausgesetzt, Geld in beliebiger Höhe und Währung abheben und einzahlen kann. Das ist weder in den Niederlanden noch in Frankreich möglich. In den Bankfilialen haben die Angestellten, wohl als Schutz gegen Überfälle, keinen Zugriff auf Bargeld. Geld wird per Bancomat nicht nur abgehoben, sondern auch einbezahlt. Überlebt hat dafür in Frankreich das Checkheft, «le chequier». Sogar im Supermarkt hat es an jeder Kasse einen kleinen Drucker, der den Betrag in Zahlen und Worten, den Begünstigten sowie Ort und Datum automatisch druckt, sodass man nur noch unterschreiben und sich legitimieren muss.
Zur Geduldsprobe wird es, wenn im Tante-Emma-Laden, wo solche hilfreichen Druckerchen fehlen, ein altes Müetti seinen Check von A bis Z von Hand ausfüllt – aber Zeit ist hier nicht so sehr Geld, sondern Gelegenheit zu ausgiebiger Konversation. Wie sich das für die Banken rechnet, ist uns ein Rätsel, denn Spesen werden für Checks keine erhoben.
Der Verkehr
Hinter der Verkehrspolitik in den Niederlanden, Frankreich und der Schweiz stehen offensichtlich ganz unterschiedliche Konzepte.
In den Niederlanden wird alles unternommen, damit der motorisierte Verkehr die Autobahnen benützt. Diese sind bis zu fünfspurig angelegt. Alle übrigen Strassen sind derart grosszügig mit allen erdenklichen Arten von Schwellen und Spurverengungen bestückt, dass man sie so wenig wie möglich benützt. Das hat allerdings den Effekt, dass die Autobahnen chronisch verstopft sind. Morgendliche Verkehrsmeldungen tönen dann etwa so: «Heute gibt es im ganzen Land insgesamt 360 km Stau. Nachfolgend alle Staus über 10 Kilometer Länge…». Wir haben im Bericht 10 ausführlich und mit Fotos darüber berichtet. Es gibt weder Zahlstellen noch eine Autobahnvignette. Die Verkehrspolizei ist sehr präsent. Die Phasen bei den Lichtsignalanlagen in Städten und Dörfern sind sehr lang. Eine Alternative zum Strassenverkehr wäre der öffentliche Verkehr, der aber ist in den Niederlanden manchmal ziemlich schmuddelig und auch nicht sehr pünktlich. Positiv ist die konsequente Trennung des Fahrradverkehrs vom motorisierten Verkehr. Der Fahrstil der holländischen Automobilisten ist waghalsig und aggressiv, aber darüber regt sich niemand auf: Alle fahren so. Gegenüber Velofahrern sind die Niederländer rücksichtsvoll. Die Niederlande sind das Veloland par excellence. Das Fahrrad ist das Verkehrsmittel der Wahl, auch zum Einkaufen. Einkaufszentren auf der grünen Wiese gibt es nämlich praktisch nicht, ausser Möbel- und Heimwerkermärkte.
Wenn wir vom französischen Verkehr sprechen, müssen wir vorausschicken, dass wir Paris ausklammern. Wir kennen nur die Provinz und damit ist in Frankreich alles ausser Paris gemeint. Die Autobahnen, auf welchen Strassenzoll bezahlt werden muss, und die grossen Nationalstrassen sind generell in gutem Zustand. Im zentralistisch organisierten Frankreich werden Autobahnen dort gebaut, wo die Departements- oder Regionsbehörden in Paris am effizientesten lobbyieren. Der Verkehr ist ausserhalb der grossen Städte nicht sehr dicht, die Gendarmerie ist sehr präsent. Die Fahrdisziplin hat sich in den letzten Jahren sehr stark verbessert, ebenso die Rücksicht gegenüber Fussgängern und Velofahrern. Die Phasen bei den Lichtsignalanlagen in Städten und Dörfern sind sehr lang. Der Schienenverkehr ist modern, der TGV wegweisend. Aber auch die TER (Train express régional) sind modern, veraltetes Wagenmaterial sieht man nicht mehr häufig. In vielen Städten gibt es Gratisbusse. Das Verkehrsmittel der Wahl ist das Auto, denn alle grossen Einkaufszentren sind ausserhalb der Dörfer und Städte, weswegen viele Dörfer und Städtchen veröden.
Als wir das letzte Mal in die Schweiz kamen, fuhren wir ein Auto mit französischen Nummernschildern. Obwohl Christian sein Studium als Taxichauffeur verdient hat und meist am Limit fährt, wurden wir dauernd überholt. Offenbar traute man uns «Franzosen» nicht zu, schnell genug zu fahren. Am meisten aber fielen uns die – im Vergleich zu Frankreich und den Niederlanden – schikanös kurzen Phasen bei den Lichtsignalanlagen auf. Das hat zur Folge, dass bei Grün sofort losgeprescht wird, weil nach spätestens fünf Autos wieder auf Rot geschaltet wird. Und wehe, wer nicht sofort losfährt, provoziert ein wütendes Hupkonzert! Verkehrspolizei ist in der Schweiz nicht präsent, die Fahrdisziplin entsprechend miserabel. Auch der Schienenverkehr ist europaweit einzigartig, sowohl bezüglich Pünktlichkeit als auch in Bezug auf Wagenmaterial, mit Ausnahme der kreischenden Strassenbahnen in Zürich.
Wir sind deshalb nicht unglücklich, haben wir uns für das Verkehrsmittel «Schiff» für unsere Reisen durch Europa entschieden. Es geht auf dem Wasser entschieden gelassener zu als auf der Strasse!
Bericht 23, Dezember 2006
Winterquartier in Roanne
Ende November/anfangs Dezember geniessen wir herrlichstes Herbstwetter, das wir zu ausgedehnten Wanderungen benützen. Weiterlesen
Bericht 22, November 2006
Winterquartier in Roanne
Ende Oktober sind wir in Roanne angekommen und das bedeutet einen ganz neuen Abschnitt in unserem Schiffsleben. Weiterlesen
Bericht 21, Oktober 2006
Paray-le-Monial (Canal du Centre) – Digoin (Canal latéral à la Loire) – Decize – Digoin – Roanne
Paray-le-Monial eignet sich gut als Ausgangspunkt für Velotouren zur Erkundung der Umgebung. In einer Stunde ist man in Digoin, wo eine 243 m lange Kanalbrücke über die Loire führt. Sie wurde 1834 bis 1838 erbaut und ist zu den schönsten Kanalbrücken Frankreichs. Weiterlesen
Bericht 20, September 2006
St-Symphorien (Saône/Canal du Rhone au Rhin) – Chalons-sur-Saône (Saône) – Louhans (La Seille) – Paray-le-Monial (Canal du Centre)
Das Wetter Ende August und anfangs September ist sehr beständig: Es regnet still vor sich hin. Tag für Tag.
Wir mögen nicht in die üblichen Klagen über das Regenwetter einstimmen, denn schliesslich gibt es ohne Wasser keine Wasserstrassen. Dabei sind nicht einmal die Flüsse das Problem, sondern die Kanäle mit einer Scheitelhaltung. Viele Kanäle überwinden eine Wasserscheide und von dieser Höhe aus müssen sie nach beiden Seiten alimentiert werden. Das geschieht meist mit riesigen Speicherbecken, die, wie die schweizerischen Stauseen, gefüllt sein müssen. Der Canal du Centre beispielsweise ist sehr anfällig auf Wassermangel. Sein höchster Punkt ist die Wasserscheide zwischen Mittelmeer und Atlantik. Nach dem trockenen und heissen Sommer 2003 wurde er bereits im Oktober wegen Wassermangels geschlossen.
Wir verinnerlichen dieses Wissen und beginnen, den Regen geradezu zu geniessen.
Kaum aber haben wir uns an diesen Genuss gewöhnt, beginnt der Barometer wieder kräftig zu steigen und, rechtzeitig mit der Ankunft unserer Freunde Ruth und Peter, die uns während einer Woche begleiten werden, kehrt der Sommer zurück. Am nicht allzu frühen Morgen des 31. August schleusen wir von St-Symphorien auf die Saône hinaus und legen wenig später am Quai von St-Jean-de-Losne an, nachdem wir beim Bunkerschiff noch aufgetankt haben. Das Glück ist uns hold und wir finden an diesem begehrten Quai einen Liegeplatz.
In St-Jean-de-Losne hat die bekannte Bootsvermietungsfirma Crown Blue Line eine Niederlassung und wegen der relativ geringen Distanz zur Schweiz trifft man allenthalben auf Miteidgenossen. Hinzu kommt, dass man von hier aus die Qual der Wahl hat: Auf dem Canal de Bourgogne nordwestlich Richtung Dijon, auf der Saône südwärts Richtung Mâcon, nordwärts Richtung Auxonne und Gray oder auf dem Doubs nach Osten Richtung Dole, Besançon und Montbéliard.
Da unsere Freunde bereits um die Mittagszeit in St-Jean-de-Losne eintreffen, fahren wir mit ihnen auf der Saône ein Stück weit hinauf und gegen Abend wieder zurück. Natürlich ist unser Liegeplatz mittlerweile anderweitig besetzt, aber über Funk haben wir uns bereits vom Skipper der holländischen «Linquenda» die Zusicherung eingeholt, dass wir bei ihm längsseits anlegen können.
Peter und seine Frau Erika laden uns und unsere Freunde zum Apéritiv auf dem Deck der «Linquenda» ein. Christian, der anscheinend am Abend zuvor irgendetwas Mittelprächtiges gegessen hat, liegt derweil in seiner Kajüte, von Magenkrämpfen geschüttelt. Der Notfallarzt attestiert ihm reelle Überlebenschancen und in der Tat erscheint am nächsten Tag ein ausgehungerter und ausgetrockneter Kapitän am Frühstückstisch, wo ihm liebevoll Zwieback und Tee serviert wird.
Er ist jedenfalls wieder soweit bei Kräften, dass wir auf der Saône nach Seurre fahren können. Während wir in den Kanälen mit 6–8 km/h fahren müssen, um die Böschungen zu schonen, können wir, jauchzend vor Freude, auf der breiten Saône unbeschwert mit «full speed» und schäumender Bugwelle fahren. Nach rund zweieinhalb Stunden legen wir in Seurre am Ponton an.
Der Ponton von Seurre ist ja eigentlich für kleine Jachten bis 15 m gedacht, aber der Hafenmeister drückt ein Auge zu mit dem Hinweis, das hätten wir der Schweizerflagge am Heck zu verdanken. Holländer und Engländer kämen ihm nicht an diesen Ponton, erklärt er entschieden. Wir haben das schon mehrfach in Frankreich gehört. Die Holländer – so wird das hier verallgemeinert – sind nicht sehr beliebt, weil sie alles umsonst haben wollen und die Engländer, weil sie sich immer noch wie Kolonialherren aufführen, welche die Franzosen als Eingeborene von oben herab behandeln.
Am nächsten Tag erscheint übrigens derselbe Hafenmeister wieder am Ponton und erklärt: «Je sais maintenant qui vous êtes! Vous êtes l’ancien ministre des finances du Canton de Zurich!» Es stellt sich heraus, dass ein durchfahrender schweizerischer Schiffsbesitzer unser Inkognito gelüftet hat.
Seurre ist ein hübsches Städtchen mit einer bemerkenswerten Kirche, der Eglise Saint-Martin. Wie wir eintreten, spielt ein alter Mann am Harmonium das Ave Maria und begleitet sich selbst dabei auf der Flöte. Der 86jährige René Vila ist der geborene Erzähler. Wenn er die Geschichte der Kirche erzählt, spürt man ein inneres Feuer und seine Augen beginnen zu leuchten. Seine eigene Biographie ist nicht minder spannend: Geboren 1920 in Alger, übersiedelt nach Frankreich, Mechanikerlehre, Eintritt in die Armee mit 19 Jahren, Untertauchen im Widerstand, Anstellung bei den SNCF, den französischen Staatsbahnen – und das alles, wie er betont, «immer mit der Trompete in der Hand».
In Seurre fliessen «alte» und «neue» Saône zusammen. Die alte Saône ist zwar theoretisch ein Stück weit befahrbar, aber so unberührt, dass wir es bleiben lassen. Stattdessen fahren wir mit den Velos diesem Fluss entlang, der als Fischerparadies gilt.
Von Seurre aus fahren wir mit einem Zwischenhalt in Gergy nach Tournus. Eigentlich hätten wir gerne einen Zwischenhalt in Chalons-sur-Saône eingelegt, aber der Quai, an welchem wir anlegen könnten, ist bereits belegt.
Hier müssen wir uns entscheiden: Biegen wir hier in den Canal du Centre ab (der zu unserem Winterquartier in Roanne führt) oder fahren wir, weil wir noch reichlich Zeit haben, noch ein Stück weit die Saône hinunter und erkunden die Seille? Freunde haben uns von der Seille vorgeschwärmt, einem 39 km langen, wildromantischen und dank vier Schleusen befahrbaren Flüsschen in der Bresse.
Wir entschliessen uns zum Abstecher in die Seille.
Unterwegs finden wir am Quai in Tournus einen idealen Liegeplatz. Christian findet sogar noch einen gut getarnten Elektrokasten, sodass wir den Generator nicht anwerfen müssen. Geographisch sind wir im Mâconnais, das für seine Weine berühmt ist.
In jedem Fremdenführer wird die Abtei Saint-Philibert erwähnt, eine mit Schiessscharten versehene Wehrkirche aus dem 10. und 11. Jahrhundert. Die Mischung zwischen Kirche und martialischer Festung ist ziemlich verwirrend, sicher aber eindrücklich.
Nun kann man ja nicht ein ganzes Jahr lang gotische und romanische Kirchen besichtigen. Irgendwann beginnen sie einander zu gleichen. Das Hôtel-Dieu von Tournus ist deshalb eine willkommene Abwechslung. Ungeachtet seiner Bezeichnung ist es kein Hotel, sondern ein im 17. Jahrhundert erbautes Spital. Die Begriffe «hôpital», «hôtel-Dieu», «maison-Dieu» und «hospice», die heute für Einrichtungen unterschiedlichster Zielsetzungen verwendet werden, wurden in Frankreich jahrhundertelang gleichbedeutend verwendet. Sie hatten ursprünglich die Aufgabe, die Ärmsten der Bevölkerung aufzunehmen und zu versorgen. Den Bedürftigen zu helfen, indem man ihnen Unterkunft und Verpflegung anbot, war (und wäre heute noch) Pflicht eines jeden guten Christen. Im 17. Jahrhundert galt das Betteln und Vagabundieren als Gefahr für die öffentliche Ordnung. Die Not wurde zum Synonym für moralische und soziale Unordnung. Neben die Gastfreundschaft als erstem Bestimmungszweck eines Hospitals trat nun der Gedanke der Internierung.
Einzigartig am Hôtel-Dieu von Tournus ist, dass es erst 1978 geschlossen wurde. Die Folge davon war, dass das Spital mehr oder weniger nahtlos als Museum weitergeführt wurde.
In der Spitalapotheke stellten Ordensschwestern Salben, Tinkturen und Medikamente selber her – und man hat das Gefühl, die letzte Apothekerin habe eben erst den Raum mit seinen 300 Töpfen aus Fayence verlassen.
Der Abschied von Tournus fällt uns nicht leicht. Aber wie wir wenig später von der Saône in die Seille einbiegen, sind wir von einem Moment auf den anderen in einer anderen Welt.
Die vier Schleusen der Seille sind kleiner als das französische Freycinet-Mass, nämlich nur 30 m lang. Einen Schleusenwärter gibt es nur an der ersten Schleuse, die drei weiteren Schleusen öffnet und schliesst man selbst von Hand. Weil wir die Liegeplätze an der Seille nicht kennen, erhalten wir via Mail von der Dutch Barge Association (DBA), deren Mitglied wir sind, eine aufdatierte Liste sämtlicher Anlegeplätze am Fluss mit allen erdenklichen Angaben. Die DBA verfügt von sämtlichen Kanälen über derartige Listen, die laufend nachgeführt werden. Eine vorbildliche Dienstleistung eines hervorragend organisierten Klubs!
Location | La Truchère | PK 1 | 46° 30.88’ N 4° 56.89, E |
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Mooring | 60m long pontoon | Rings, Depth 1.8 m | ||
Facilities & Costs | Water & electricity | €8 € 10 with water | ||
Local Amenities | Restaurant plus bread if ordered night before from owner. Both restaurants may be closed (end of August 2005) | |||
Contributor & Date | La Belle Hélène 14.9 x 0.76m, 5/ 03 ; Nos Rêves (15m x 1m) 7/05 | |||
Remarks | Pleasant spot just above 1st lock. |
Location | Cruisery | PK 1 | ||
Mooring | 40m pontoon, plus bank for 25m boat | Rings on pontoon, pins for bank | ||
Facilities & Costs | Water & electricity | €8 – mooring & €2.5 – power | ||
Local Amenities | Nearby campsite has showers & a laundry. | |||
Contributor & Date | La Belle Hélène (14.9m x 3.81m x 0.76m) – May 03 | |||
Remarks | Steep walk into town. One of the main ‘book villages’ in France – book market every 1st Sunday in month. Reputedly good restaurant in town (Hostellerie Bressane). Not tried but need to book! We didn’t. |
Ausschnitt aus der DBA-Liste der Anlegeplätze an der Seille
Berufsverkehr hat es keinen mehr. Dafür ist die Seille ein Paradies für Mietboote (in Loisy ist eine kleine Basis von Locaboat) und Freizeitschiffer.
Ab Louhans, einer reizvollen Kleinstadt, ist die Seille nicht mehr schiffbar, weshalb man einen Ruhetag einschalten und eine dieser riesigen Bress-Poularden verzehren muss. Die werden nämlich in dieser Region gezüchtet. Gewichtsmässig ist das Burgund unser Untergang. Nicht nur der Mond ist zunehmend…
In Louhans verlassen uns Ruth und Peter. Dafür kommen Charlottes Schwester Margrit mit ihrem Mann Alfons (wieder) zu uns. Sie sind bereits in Holland eine Woche mit uns gefahren.
Wir fahren mit ihnen in einem Tag die Seille hinunter und die Saône hinauf bis Tournus, wo wir am selben Quai wieder anlegen können.
In Tournus ist Markt und es herrscht, wie man zu sagen pflegt, ein buntes Treiben. Eigentlich ist es mehr Spektakel als Markt: Ein Eisenplastiker giesst kleine Skulpturen auf einem Platz und eine Gruppe Jugendlicher spielt unbeschwert und fröhlich Dixie.
Am nächsten Tag fahren wir saôneaufwärts zurück nach Chalons-sur-Saône und kurz nach Chalons biegen wir in den Canal du Centre ein.
Der Canal du Centre, der die Täler der Saône und der Loire miteinander verbindet, wurde 1784 bis 1792 gegraben. Der Bau des Kanals hatte einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung zur Folge. Am meisten profitierten Montchanin mit seiner Eisenindustrie und Montceau-les-Mines, wo Kohle abgebaut wurde. 1936 wurden über anderthalb Millionen Tonnen Güter auf dem Kanal transportiert, das Meiste davon Kohle. Montceau-les-Mines war einer jener zehn Binnenhäfen in Frankreich, in denen mehr als eine Million Tonnen Güter umgeschlagen wurde.
Die Kohlenmine von Blanzy ist heute ein Museum. Weil alle Maschinen bis vor 6 Jahren noch liefen, sind sie noch heute voll funktionsfähig.
Im Jahr 2000 wurde die letzte Kohlenmine geschlossen und der Berufsverkehr brach völlig ein. Heute benützen pro Jahr noch etwa 50–100 Transportschiffe den Kanal. Zum Ausgleich sind die Region und die Gemeinden bemüht, den Bootstourismus zu fördern.
Die erste Schleuse hat einen Hub von nicht weniger als 10 m und wirkt mit ihrem triefenden Hebetor irgendwie bedrohlich. Aber wir kennen das System noch von der Schleuse von Ittre, die wir im Bericht Nr. 17 beschrieben haben.
Die ersten paar Kilometer auf dem Canal du Centre führen durch Industriegebiet, aber schon das erste Dorf, Fragnes, zeigt sich von der besten Seite. Ein moderner, langer Quai mit Wasser und Strom erwartet uns. Hier beginnt die «Trasse verte», ein Veloweg entlang dem Canal du Centre, der bis St-Léger-sur-Dheune führt. Man wähnt sich beinahe in den velofreundlichen Niederlanden, denn hier steht sogar eine Velowasch- und Pneupumpstation.
Direkt am Quai liegt das Restaurant «Fleur de Sel», das von den jungen Wirtsleuten Barbara und Franck geführt wird. Ihnen verleihen wir einen Extrastern im «Guide Kinette» für Gastfreundschaft. Obwohl sie ihren Wirtesonntag eben begonnen haben, servieren sie uns noch Getränke und stellen sogar noch extra Tisch und Sonnenschirm für uns auf die Terrasse!
Am nächsten Tag treffen wir auf Bob und Christine mit ihrer «Sassi», die wir schon in St-Symphorien getroffen hatten. Sie sind auf ein verborgen unter Wasser liegendes Hindernis aufgelaufen und haben dabei ihr Steuerruder beschädigt.
Sie können das Steuerruder mit einem Kettenzug wenigstens soweit fixieren, dass sie, wenn auch sehr langsam, ihre Reise fortsetzen können.
Der Canal du Centre führt durchs Burgund und steigt mit 29 Schleusen von Chalons (171 m.ü.M.) bis Montchanin (301 m.ü.M.). Er ist ein beliebtes Revier für Mietboote. In Chagny ist eine Basis von Escarg’eau und in St-Léger-sur-Dheune eine sehr gepflegte Locaboat-Basis. In St-Léger bleiben wir zwei Tage, weil wir am Quai direkt vor der Locaboat-Basis anlegen dürfen.
Von St-Léger aus unternehmen wir eine lange Velotour nach St-Sernain-du-Plain hinauf. Die Weinlese soll am nächsten Tag beginnen und überall werden die Gerätschaften bereitgestellt, Pressen gereinigt und Bottiche gespült.
Unsere weitere Fahrt führt über Montchanin, Montceau-les-Mines, Génelard nach Paray-le-Monial. Wettermässig hätten wir es nicht besser treffen können, denn im Südburgund wird ein Altweibersommer wie aus dem Bilderbuch abgehalten. Die Bootssaison ist mehr oder weniger zu Ende und wir haben den Kanal praktisch für uns allein. Was für ein herrliches Gefühl: Wir können uns jeweils noch in der zweiten Hälfte Nachmittag den Liegeplatz aussuchen. Nicht einmal dort, wo keine Hafengebühr erhoben und Strom und Wasser gratis sind, hat es Schiffe – und das will etwas heissen!
Montceau-les-Mines ist trotz seiner 20’000 Einwohner eine junge Stadt, sie wurde erst 1856 als Kohlebergbau-Stadt gegründet. Heute unternimmt Montceau grosse Anstrengungen, sein graues «Kohle-Image» loszuwerden.
Sinnbild für das Bemühen um Farbe ist das Stadthaus, das «Hôtel de Ville», eine Augenweide bei Tag und bei Nacht.
Verlässt man Montceau-les-Mines Richtung Süden, so könnte man beinahe von einem burgundischen Amsterdam sprechen.
Von dem verschlafenen Dörfchen Génelard, unserem nächsten Zwischenhalt, gäbe es eigentlich nichts zu berichten, auch wenn es das «Museum der Demarkationslinie» beherbergt. Aber Génelard wird uns wegen des Restaurants «Le Provençal» in allerbester Erinnerung bleiben. Es ist so französisch, wie ein Beizli in einem kleinen Dörfchen nur sein kann. Wenn man sich längere Zeit in Frankreich aufhält, weiss man, dass man sich achten muss, wo die Lastwagenchauffeure zum Mittagessen anhalten. Vor dem «Le Provençal» stehen die «poids lourds» geradezu klumpenweise. Wir marschieren also abends gegen halb acht Uhr ins Provençal und werden nicht enttäuscht. Vorne ist die Bar und der Fernseher läuft, Eurosport natürlich. Hinten im Säli ein paar gedeckte kleine Tische. Eine Speisekarte gibt es nicht, auch keine Auswahl. Es wird gegessen, was draussen in der Küche köchelt. Zuerst gibt es einen Teller mit Salat und Charcuterie, dann ein Boeuf bourgignon, gefolgt von einer Käseauswahl à discretion und einer Île flottante zum Dessert. Kostenpunkt 11 Euro, umgerechnet also nicht einmal 18 Franken.
So gestärkt, fahren wir am nächsten Tag nach Paray-le-Monial. Der Empfang ist spannend, denn kaum haben wir angelegt, erscheint schon die Gendarmerie. Reinen Gewissens, wie wir sind, bitten wir sie an Bord. Es stellt sich heraus, dass gleichentags im Kanal eine Säuglingsleiche gefunden wurde, weshalb alle Schiffer befragt werden.
Leider können wir nichts zur Erhellung des makabren Geschehens beitragen, weshalb wir uns nach stattgefundener Befragung zur Besichtigung des Städtchens aufmachen.
Hier atmet alles den Geruch der Heiligkeit. Zum Entzücken des Tourismusdirektors, falls es damals schon einen gab, hatte nämlich eine gewisse Marguerite-Maria Alacoque, welche nach vierjähriger Bettlägerigkeit infolge Kinderlähmung und nach einer schwierigen Jugend Nonne geworden war, von 1673 bis zu ihrem Tod 1690 Visionen und Offenbarungen, welche ihr Beichtvater schriftlich niederlegte. Das war der Beginn der Herz-Jesu-Verehrung in Frankreich. 1864 wurde Schwester Marguerite-Maria selig- und 1920 heiliggesprochen. Ihrem Beichtvater wurde übrigens das gleiche Schicksal zuteil. Selbst guten Katholiken ist die Heiligen- und übrigens auch die die Reliquienverehrung manchmal etwas unheimlich. Aber wer will denn schon kritisch sein, wenn seit 1873 jährlich grosse Wallfahrten stattfinden und Paray-le-Monial das ganze Jahr hindurch von Scharen religiöser Touristen bevölkert wird?
Nicht nur weil Paray-le-Monial so charmant ist, sondern hauptsächlich wegen eines Konzertes, das für Samstagabend in der Herz-Jesu-Basilika angesagt ist, verlängern wir unseren Aufenthalt auf sechs Tage.
Bericht 19, August 2006
Langres (Canal de Marne à la Saône) – St-Symphorien (Saône/Canal du Rhone au Rhin)
Auf dem ganzen Canal de la Marne à la Saône fahren wir zusammen mit Rudy und Josiane, einem Ehepaar aus Reims mit einer holländischen Stahljacht. Weiterlesen